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»Schreber« und »Haitzmann« sind 'nicht' Pseudonyme, sondern die authentischen Namen der Protagonisten von Freuds zwei Fallberichten. Die beiden Männer waren tatsächlich 'nicht' seine Patienten. In autobiographischen Schilderungen ihrer jeweiligen Erkrankung hatten sie ihre Identität selbst publik gemacht. Daniel Paul Schreber, ein hoher sächsischer Richter, veröffent-lichte 1903 das Buch 'Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken', in dem er die Geschichte der eigenen Wahnbildung und -heilung beschreibt; Christoph Haitzmann hingegen war ein im siebzehnten Jahrhundert lebender Maler, der nach dem Tode seines Vaters an schwerer Depression und Arbeitshemmung erkrankte und sich in der Hoffnung auf Hilfe dem Teufel verschrieb. Die der Faust-Sage ähnelnde Erlösungsgeschichte - Freud liest sie als Heilung von einer dämonologischen Neurose - ist in mehreren Dokumenten festgehalten, darunter einem Tagebuch des Leidenden.
Der Begründer der Psychoanalyse arbeitet hier also nicht mit aktuellem gesprochenem klinischem Material, sondern mit 'geschriebenen überlieferten Texten'. In fesselnder Analyse werden ihre Details gleichsam zum Sprechen gebracht. Das ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden komplementären Schriften; tatsächlich verweist der Autor von der 1923 veröffentlichten auf die 1911 erschienene. Das Hauptthema der einen - Wahnbildung, Paranoia - wie das der anderen - Besessenheit, dämonologische Neurose - reichen bis in Freuds Anfänge zurück. Erste Überlegungen hierzu finden sich bereits in den Fließ-Briefen aus den neunziger Jahren. Freuds historisch-ethnologisches Interesse an Besessenheit und »Dämonomanie« wurde sogar schon von Jean-Martin Charcot in den achtziger Jahren geweckt. Beide Fälle stehen zudem »auf dem wohlvertrauten Boden des Vaterkomplexes« und demonstrieren eindrücklich die Wucht des Abwehrmechanismus der 'Projektion'.
Mit seiner facettenreichen Einleitung verhilft der Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim dem Leser zu einer neuen, »verstehenden Lektüre«, insbesondere Indem er lebhaft das Zeitklima vergegenwärtigt, in welchem diese beiden zentralen Freud-Schriften entstanden sind.
Über den Autor / die Autorin
Sigmund Freud wurde 1856 in Freiberg (Mähren) geboren. Nach dem Studium der Medizin wandte er sich während eines Studienaufenthalts in Paris, unter dem Einfluss J.-M. Charcots, der Psychopathologie zu. Anschließend beschäftigte er sich in der Privatpraxis mit Hysterie und anderen Neurosenformen. Er begründete die Psychoanalyse und entwickelte sie fort als eigene Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeine, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassende Psychologie. 1938 emigrierte Freud nach London, wo er 1939 starb.
Zusammenfassung
»Schreber« und »Haitzmann« sind 'nicht' Pseudonyme, sondern die authentischen Namen der Protagonisten von Freuds zwei Fallberichten. Die beiden Männer waren tatsächlich 'nicht' seine Patienten. In autobiographischen Schilderungen ihrer jeweiligen Erkrankung hatten sie ihre Identität selbst publik gemacht. Daniel Paul Schreber, ein hoher sächsischer Richter, veröffent-lichte 1903 das Buch ›Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken‹, in dem er die Geschichte der eigenen Wahnbildung und -heilung beschreibt; Christoph Haitzmann hingegen war ein im siebzehnten Jahrhundert lebender Maler, der nach dem Tode seines Vaters an schwerer Depression und Arbeitshemmung erkrankte und sich in der Hoffnung auf Hilfe dem Teufel verschrieb. Die der Faust-Sage ähnelnde Erlösungsgeschichte - Freud liest sie als Heilung von einer dämonologischen Neurose - ist in mehreren Dokumenten festgehalten, darunter einem Tagebuch des Leidenden.
Der Begründer der Psychoanalyse arbeitet hier also nicht mit aktuellem gesprochenem klinischem Material, sondern mit 'geschriebenen überlieferten Texten'. In fesselnder Analyse werden ihre Details gleichsam zum Sprechen gebracht. Das ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden komplementären Schriften; tatsächlich verweist der Autor von der 1923 veröffentlichten auf die 1911 erschienene. Das Hauptthema der einen - Wahnbildung, Paranoia - wie das der anderen - Besessenheit, dämonologische Neurose - reichen bis in Freuds Anfänge zurück. Erste Überlegungen hierzu finden sich bereits in den Fließ-Briefen aus den neunziger Jahren. Freuds historisch-ethnologisches Interesse an Besessenheit und »Dämonomanie« wurde sogar schon von Jean-Martin Charcot in den achtziger Jahren geweckt. Beide Fälle stehen zudem »auf dem wohlvertrauten Boden des Vaterkomplexes« und demonstrieren eindrücklich die Wucht des Abwehrmechanismus der 'Projektion'.
Mit seiner facettenreichen Einleitung verhilft der Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim dem Leser zu einer neuen, »verstehenden Lektüre«, insbesondere Indem er lebhaft das Zeitklima vergegenwärtigt, in welchem diese beiden zentralen Freud-Schriften entstanden sind.