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Krieg ist Männersache?Nein, auch Frauen sind Kriegs-Akteurinnen. Im Zweiten Weltkrieg gehörten sie ebenso wie Männer zu SS und Wehrmacht. Ob als Flakhelferinnen, Aufseherinnen, SS-Helferinnen oder Funkerinnen: Frauen hielten die NS-Maschinerie am Laufen - und viele reihten sich aus Überzeugung ein.Thomas Hanifle porträtiert Südtirolerinnen, die auf unterschiedlichen Wegen in den Dienst von SS und Wehrmacht kamen, und geht den Beweggründen für den Dienstantritt ge-nauso nach wie der Frage nach ihrer Mitverantwortung.» Frauen als Täterinnen im Zweiten Weltkrieg» Erstmalige Auseinandersetzung mit dem Thema in Südtirol» Journalistisch aufgearbeitete Frauenbiografien
Über den Autor / die Autorin
Geboren 1976 in Meran, Studium der Publizistik, Politikwissenschaften und Völkerkunde in Wien. Freier Journalist und Filmemacher. Gründungsmitglied der Genossenschaft Exlibris, 2013 Mitgründer und seither Redaktionsleiter des Onlinemagazins barfuss.it. Autor des Buches „Claus Gatterer: Im Zweifel auf Seiten der Schwachen“ (2005) und Gestalter des gleichnamigen Dokumentarfilmes (2007). Claus-Gatterer-Anerkennungspreis (2006).
Bei Edition Raetia: Herausgeber der Tagebücher von Claus Gatterer „Claus Gatterer. Ein Einzelgänger, ein Dachs vielleicht“ (2011). Redakteur der Memoiren von Luis Raffeiner „Wir waren keine Menschen mehr“ (2010), Luis Seebacher „Wenn alles in Scherben fällt“ (2012), Marion Schiffler „Ich war das Jadekind“ (2012), Claire French-Wieser „Meine verkehrte Welt“ (2013) und von Hilde Kerer „Ich war ein Blitzmädel“ (2014).
Zusammenfassung
Unschuldige „Rädchen“ im System? Südtirolerinnen als Akteurinnen im Zweiten Weltkrieg
Krieg gilt als Männersache. Dabei sind Frauen ein unverzichtbarer Teil der Kriegsmaschinerie. Im Zweiten Weltkrieg ging die Zahl der Frauen im Kriegsdienst in die Millionen – und sie waren nicht nur Bürokräfte und Krankenschwestern, sondern auch Aufseherinnen, Flakhelferinnen, Dolmetscherinnen, Funkerinnen, SS-Helferinnen. Autor Thomas Hanifle macht sich in seinem Buch „Frauen im Kriegsdienst“, erschienen bei Edition Raetia, auf Spurensuche: Wer waren die Südtirolerinnen, die sich in den Dienst von Wehrmacht und SS begaben? Wie gingen sie mit ihren Kriegserfahrungen um? Und welche Mitverantwortung tragen sie an den Kriegsverbrechen?
Die Algunderin Zita Ladurner feierte ihren 18. Geburtstag während ihrer Ausbildung zur Flakhelferin. Es war Winter, täglich gab es Fliegeralarm, aber Sorgen hatte sie keine, wie sie Jahrzehnte später im Interview erzählt. Im Gegenteil: Sie berichtet von den schönen Momenten, von weiblicher Kameradschaft und Besuchen im Kino. Ladurner ist eine von vielen Südtirolerinnen, die im Zweiten Weltkrieg in den Dienst von Wehrmacht und SS eintraten. Thomas Hanifle hat in „Frauen im Kriegsdienst“ die Geschichten dieser Frauen aufgearbeitet und ihre Beweggründe für den Dienstantritt erforscht.
Einige Frauen meldeten sich aus Überzeugung: Hedwig Zonta zum Beispiel, die sich im zarten Alter von 16 Jahren freiwillig zur Waffen-SS meldete und Funkerin im Konzentrationslager in Hamburg-Neuengamme wurde. Oder Paula Plattner: Sie scheint zwar als Sekretärin im Polizei-Durchgangslager in Bozen auf, Häftlinge beschreiben ihre Rolle aber als eine ganz andere. Als „heimliche Chefin“ habe sie für die Disziplin zu sorgen gehabt. Und diesem Auftrag sei die „Bestie“ mit eiserner Hand nachgekommen. Nach dem Krieg entging Plattner durch Flucht einer Verfolgung seitens der Justiz.
Andere Frauen lockte der gute Verdienst, wie Rebekka Rungg, die zunächst in einem Offizierskasino, später als Dolmetscherin und Telefonistin der Luftwaffe arbeitete. Wieder andere folgten der Liebe: Martha Flies Ebner etwa zog mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Toni Ebner in die Nähe von Brescia und arbeitete als Sekretärin in einer Firma der Organisation Todt, der paramilitärischen Bautruppe der Nazis.
Nach dem Krieg kehrten die meisten der Südtirolerinnen in ihre Heimat zurück. Im Nachhinein sprechen die Frauen häufig vom Krieg, als wäre es ein Urlaubsaufenthalt gewesen. Sie erzählen von Freundschaft und Kameradschaft, von Liebschaften mit Soldaten, beschreiben Ausflüge und Freizeitaktivitäten. Die Boznerin Aloisia Pechlaner zum Beispiel arbeitete in einem Soldatenheim in Neapel und verbrachte ihre Freizeit gerne am Strand, deutsche Soldaten führten sie in der Stadt aus. Das „Blitzmädchen“ Hilde Kerer aus Brixen war in Minsk unweit des jüdischen Ghettos stationiert, später in Poitiers in Frankreich. In ihren Tagebuchaufzeichnungen liest man vom Tennisspiel mit Kolleginnen, von Paddel- und Reitausflügen. Erst als die Alliierten in der Normandie landeten, hielt auch der Krieg in ihrem Tagebuch Einzug.
Warum sprachen diese Frauen nach Kriegsende nicht auch über ihre negativen Kriegserfahrungen? Eine selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit war über Jahrzehnte nicht möglich, in Südtirol verstand man sich als Opfer der Diktaturen von Mussolini und Hitler. Auch in Deutschland und anderen Ländern wurden Frauen kaum zur Rechenschaft gezogen – sie galten vielfach als unschuldige „Rädchen“ in einem System, das sie nicht beeinflussen konnten. Seit einigen Jahren wird die Mitverantwortung der Frauen jedoch eingehender thematisiert. „Frauen im Kriegsdienst“ von Thomas Hanifle trägt maßgeblich dazu bei.