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"Es geht um Kilian. Kilian ist ein junger Mann, dreißig ist er alt. Er ist Nachrichtenredakteur einer Tageszeitung. Er ist unverheiratet, doch seit Jahren befreundet mit Sarah. Er hat einen Bruder; Manfred ist sein Zwillingsbruder. Die Mutter heißt Sonja; der Vater ist den Brüdern unbekannt. Kilian wohnt in Untermiete bei Frau Abraham. Soweit sind die Verhältnisse überschaubar. Doch die Erzählung beginnt am Montag, an jenem Tag, als Frau Abraham zum Flughafen aufgebrochen war und Kilian das Langgeplante in die Tat umgesetzt hat: den Selbstmordversuch. Er hatte die Fenster und Türen abgedichtet, die Gashähne aufgedreht, war auf den Stuhl gestiegen, den er auf den Tisch gestellt hatte, in der Annahme, da oben gehe es schneller. Er stürzte, brach sich den Arm; nun liegt er auf dem Boden und Frau Abraham kommt zurück, weil an diesem nebeligen Morgen die Flugzeuge nicht starten. Das ist das Ende des Versuchs, ein Ende zu machen. Zumindest das Ende eines vorläufigen Versuchs. Warum das? Nicht nur Kilian äußert sich. Eine unglückliche Liebesgeschichte ist es nicht; es gibt gründlichere Gründe. Seit vier Jahren arbeitet er, wie gesagt, als Nachrichtenredakteur. Und die Nachrichten sind schlecht, schlimmer noch, sie werden immer schlechter. Immer neuer Hunger auf der Welt, immer neue Waffen, Krieg da und Bürgerkrieg dort. Und die vielen kleinen Kriege streben aufeinander zu, sie kommen näher und näher, sie haben uns zu ihrem Mittelpunkt erkoren und fressen sich von allen Seiten auf uns zu. Das ist alles? Ist nur Kilian auf dieser Welt - und mit ihm noch einige wenige - so sensibel ausgerichtet, daß er an dieser Welt zugrunde gehen muß?"
Über den Autor / die Autorin
Jurek Becker, geb. am 30. September 1937 in Lódz (Polen), wuchs im Ghetto auf und wurde später mit seiner Mutter in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen inhaftiert. Seine Mutter starb kurz nach der Befreiung, seinen Vater, der nach Auschwitz deportiert worden war, fand er nach Kriegsende mithilfe einer Suchorganisation wieder. 1945 zog er gemeinsam mit ihm nach Ost-Berlin. Sein erster Roman Jakob der Lügner (1969) wurde über die Grenzen der DDR hinaus bekannt. Als Becker 1976 gegen den Ausschluss Rainer Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR und gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierte, wurde er selbst aus der SED und dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Ein Jahr später verließ er die DDR. Großen Erfolg hat er in der Bundesrepublik mit seinen Drehbüchern für die Erfolgsserie 'Liebling Kreuzberg'. Jurek Becker starb am 14. März 1997 in Sieseby, Schleswig-Holstein.
Zusammenfassung
"Es geht um Kilian. Kilian ist ein junger Mann, dreißig ist er alt. Er ist Nachrichtenredakteur einer Tageszeitung. Er ist unverheiratet, doch seit Jahren befreundet mit Sarah. Er hat einen Bruder; Manfred ist sein Zwillingsbruder. Die Mutter heißt Sonja; der Vater ist den Brüdern unbekannt. Kilian wohnt in Untermiete bei Frau Abraham. Soweit sind die Verhältnisse überschaubar. Doch die Erzählung beginnt am Montag, an jenem Tag, als Frau Abraham zum Flughafen aufgebrochen war und Kilian das Langgeplante in die Tat umgesetzt hat: den Selbstmordversuch. Er hatte die Fenster und Türen abgedichtet, die Gashähne aufgedreht, war auf den Stuhl gestiegen, den er auf den Tisch gestellt hatte, in der Annahme, da oben gehe es schneller. Er stürzte, brach sich den Arm; nun liegt er auf dem Boden und Frau Abraham kommt zurück, weil an diesem nebeligen Morgen die Flugzeuge nicht starten. Das ist das Ende des Versuchs, ein Ende zu machen. Zumindest das Ende eines vorläufigen Versuchs. Warum das? Nicht nur Kilian äußert sich. Eine unglückliche Liebesgeschichte ist es nicht; es gibt gründlichere Gründe. Seit vier Jahren arbeitet er, wie gesagt, als Nachrichtenredakteur. Und die Nachrichten sind schlecht, schlimmer noch, sie werden immer schlechter. Immer neuer Hunger auf der Welt, immer neue Waffen, Krieg da und Bürgerkrieg dort. Und die vielen kleinen Kriege streben aufeinander zu, sie kommen näher und näher, sie haben uns zu ihrem Mittelpunkt erkoren und fressen sich von allen Seiten auf uns zu. Das ist alles? Ist nur Kilian auf dieser Welt - und mit ihm noch einige wenige - so sensibel ausgerichtet, daß er an dieser Welt zugrunde gehen muß?"