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Erzählen ist eine Alltagspraxis und zugleich eine Praxis, in der Alltag (re-)produziert wird. Denn das Erzählen im Alltag hat selten das wirklich Außergewöhnliche und Unerhörte zum Gegenstand. In der Regel dreht es sich um Gewöhnliches, um die banalen Routinen, die sich lediglich in Nuancen von einem Tag zum nächsten unterscheiden. Wir nutzen das Erzählen nicht nur, um neuartige Erfahrungen kognitiv zu verarbeiten; wir brauchen es auch als ein Instrument der Interaktion, als Möglichkeit, den Gegenüber am eigenen Leben teilhaben zu lassen und die Alltagswelt so als eine intersubjektiv geteilte Welt zu konstituieren. Das Erzählte ist dann allein deshalb erzählwürdig, weil wir es erzählen möchten.
So großzügig das Kriterium der tellability im alltäglichen Erzählen aus diesem Grund ausgelegt werden kann, so verbindlich scheint es im literarischen und fiktionalen Erzählen. Dort erwarten wir als Rezipient*innen gemeinhin das Nichtalltägliche, wollen durch überraschende Plot-Twists und ungewöhnliche Verwicklungen unterhalten werden. Der Alltag als Gegenstand müsste hier eigentlich die Ausnahme sein, allerdings kommt häufig gerade der Darstellung des Gewöhnlichen im fiktionalen Erzählen eine wichtige Funktion zu, etwa um im Sinne eines Realitätseffekts die Bewohnbarkeit der Erzählwelt oder die 'Authentizität' des Erzählten auszuweisen. Ebenso können Erzählungen Rezeptionserwartungen kalkuliert unterlaufen, um die Aufmerksamkeit explizit auf die Strukturen der Alltagswelt zu lenken.
Der Sammelband setzt sich das Ziel, das komplexe Verhältnis von Erzählen und Alltag aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven zu erhellen. Er will die narrativen Dimensionen des Gewöhnlichen sowohl in der Praxis der Alltagserzählung als auch im Hinblick auf literarisch-fiktionale Erzähltexte beleuchten. Willkommen sind neben literarhistorischen Fallstudien zur narrativen Dimension des Gewöhnlichen im Hinblick auf Einzeltexte, Autoren, Genres, Epochen etc. insb. Beiträge, die auch systematische oder theoretische Fragen fokussieren.
Sommario
Einleitung.- Alltag erzählen. Narrative Dimensionen des Gewöhnlichen. Eine Einleitung.- Möglichkeiten und Grenzen des (Un)Gewöhnlichen im mündlichen persönlichen Erzählen.- Fremden Alltag erzählen: Zur kontextabhängigen tellability des Gewöhnlichen und den Fallstricken der Kulturvermittlung in transkulturell rezipierter Literatur.- Erich Auerbachs erzählte Alltage.- Die Wirkungslosigkeit der Angriffe auf das konventionelle Theater Versuche zu einer Veralltäglichung des Theaters bei Rimini Protokoll und René Pollesch.- Es ist lehrreich zu beobachten Maria Leitners Reportagen aus dem deutschen Alltag der späten Weimarer Republik.- In Geschichten verstrickt oder Was würde aus allem Heldentum, wenn es keine Spiegel gäbe Menschen und ihre nicht immer alltäglichen Geschichten in Gabriele Tergits Reportagen aus den Gerichten.- Verdichtete Alltagserzählungen . Erzählverhältnisse in Erzählgemeinschaften.- Mythen des Alltags. Zur narrativen Legitimation von Wissen im postfaktischen Zeitalter.- Ehe-Alltag als Treues Dornenstück.- Die Erzählbarkeit des Alltäglichen literarische Strategien. Beispiele von Stifter bis Handke.- Über Essen. Alltagserzählungen von Marie Luise Kaschnitz, Mirjam Pressler und Karen Duve.- Quotidianität. Zeitmuster und Erzählformen des Tagtäglichen.
Info autore
Matthias Grüne ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergischen Universität Wuppertal (Germanistik).
Sabrina Huber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bergischen Universität Wuppertal (Germanistik).
Christian Klein ist Professor an der Universität des Saarlandes.
PD Dr. Antonius Weixler lehrt an der Bergischen Universität Wuppertal.
Riassunto
Erzählen ist eine Alltagspraxis und zugleich eine Praxis, in der Alltag (re-)produziert wird. Denn das Erzählen im Alltag hat selten das wirklich Außergewöhnliche und Unerhörte zum Gegenstand. In der Regel dreht es sich um Gewöhnliches, um die banalen Routinen, die sich lediglich in Nuancen von einem Tag zum nächsten unterscheiden. Wir nutzen das Erzählen nicht nur, um neuartige Erfahrungen kognitiv zu verarbeiten; wir brauchen es auch als ein Instrument der Interaktion, als Möglichkeit, den Gegenüber am eigenen Leben teilhaben zu lassen und die Alltagswelt so als eine intersubjektiv geteilte Welt zu konstituieren. Das Erzählte ist dann allein deshalb erzählwürdig, weil wir es erzählen möchten.
So großzügig das Kriterium der tellability im alltäglichen Erzählen aus diesem Grund ausgelegt werden kann, so verbindlich scheint es im literarischen und fiktionalen Erzählen. Dort erwarten wir als Rezipient*innen gemeinhin das Nichtalltägliche, wollen durch überraschende Plot-Twists und ungewöhnliche Verwicklungen unterhalten werden. Der Alltag als Gegenstand müsste hier eigentlich die Ausnahme sein, allerdings kommt häufig gerade der Darstellung des Gewöhnlichen im fiktionalen Erzählen eine wichtige Funktion zu, etwa um im Sinne eines Realitätseffekts die Bewohnbarkeit der Erzählwelt oder die ›Authentizität‹ des Erzählten auszuweisen. Ebenso können Erzählungen Rezeptionserwartungen kalkuliert unterlaufen, um die Aufmerksamkeit explizit auf die Strukturen der Alltagswelt zu lenken.
Der Sammelband setzt sich das Ziel, das komplexe Verhältnis von Erzählen und Alltag aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven zu erhellen. Er will die narrativen Dimensionen des Gewöhnlichen sowohl in der Praxis der Alltagserzählung als auch im Hinblick auf literarisch-fiktionale Erzähltexte beleuchten. Willkommen sind neben literarhistorischen Fallstudien zur narrativen Dimension des Gewöhnlichen im Hinblick auf Einzeltexte, Autoren, Genres, Epochen etc. insb. Beiträge, die auch systematische oder theoretische Fragen fokussieren.