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Der Blick in den östlichen Ostseeraum reicht in den hier versammelten Beiträgen von Deutschland über Polen zu Litauen und Lettland bis hin zu Russland. Es ist zugleich ein Blick in die Geschichte, d.h. in ehemals deutsche, jetzt polnische, litauische, lettische und russische Gebiete.
Fraglos spielt Literatur beim Konstrukt ,Grenze' eine wichtige Rolle; dies hat freilich im Umkehrschluss auch für deren Dekonstruktion Gültigkeit: Literatur besitzt die Fähigkeit, Grenzen zu überwinden kraft ihres Vermögens, eine Welt der Möglichkeiten aufzubauen. Auf diese Weise ist eine literarische Topographie nicht identisch mit der politischen. In der Literatur gestaltete Grenzen sind eigene Konstruktionen des Raumes und somit Teil einer ,imaginären Geographie'. Sie kann nicht nur zur Grenzziehung, sondern ebenso zum Grenzübertritt auffordern, so dass aus dem Schlachtfeld von einst ein gemeinsamer Kulturraum erwachsen kann.
Die ethnische Vielfalt der im Gebiet des östlichen Ostseeraumes lebenden Menschen hatte ein Zusammentreffen der Kulturen zur Folge, das keineswegs mit der Vorstellung einer friedlichen Symbiose zu assoziieren ist. Die aus der Komplexität der Vorgänge entstehende Interkulturalität erwächst vielmehr aus Assimilationsvorgängen, aus der kulturellen Anpassung an die dominierende Kultur. Zu einer Akkulturation, also der Begegnung zweier Kulturen auf gleicher Augenhöhe, aus der durch gegenseitige Angleichung eine dritte entsteht, ist es dagegen nicht gekommen.
Diese Chance bleibt als Möglichkeit uns Heutigen vorbehalten: Es wäre eine interkulturelle Kommunikation, die quasi einen neuen ,Raum' eröffnet.
Sommario
Regina Hartmann: Grenzen auf der Landkarte - Grenzen im Kopf? Vorbemerkung
I Erinnerung - Spuren in der Literatur
Michael Düring (Kiel): Halb Polnisch, halb Deutsch - Zur polnischen Literatur eines Grenzraumes
Dorota Sosnicka (Szczecin): Die versunkene Stadt wiedergelesen: Zur ,Stadtsemiotik' in Artur Daniel Liskowackis Roman "Sonate für S."
Joanna Bednarska-Kociolek (Lódz): Die mythologisierte Stadt Danzig/Gdansk bei Günter Grass und Stefan Chwin
Ewelina Kaminska (Szczecin): Bürgerliches Idyll - das Szenario einer vergangenen Welt bei Autoren aus dem Raum Danzig/Gdansk und Stettin/Szczecin
Ewa Hendryk (Szczecin): Bublitz als Primärraum der Erfahrung in dem Gedichtzyklus "Gozelquelle" und den autobiographischen Stationen "Die Zeit kriegt Zifferblatt und Zeiger" von Hans Jürgen Heise
Miloslawa Borzyszkowska-Szewczyk (Gdansk): Das Eigene und das Fremde. Kollektive Bilder in den Erinnerungsschriften des deutschen Adels aus Hinterpommern und Ostpreußen nach 1945
Miroslaw Ossowski (Gdansk): Ostpreußen in der deutschen Gegenwartsliteratur (nach 1995)
II Literarische Begegnungen im multiethnischen Raum
Jürgen Joachimsthaler (Heidelberg): Innere Grenzen. Die Pruzzen als Palimpsest preußischer Literatur
Regina Hartmann (Szczecin): Slawischer Naturmythos als Zivilisationskritik - der Königsberger Autor Alfred Brust
Barbara Breysach (Frankfurt a.O.; Olsztyn): Transnationale und nationale Perspektiven in Johannes Bobrowskis Poetik
Stephan Krause (Szczecin): Michel Tourniers "Le Roi des Aulnes" und die ostpreußische Topographie des Abel Tiffauges
Stephan Kessler (Greifswald): Die Zeitschrift "Auszra" - ein echter Grenzfall
Anna Gajdis (Wroclaw): Der Rombinusberg. Seine Präsenzformen und Wahrnehmung im kollektiven Gedächtnis der ostpreußischen Literatur
Gertrude Cepl-Kaufmann (Düsseldorf): Lou Andreas-Salomé und Rainer Maria Rilke oder Über die Entstehung und den Zerfall einer poetischen Landschaft
Werner H. Preuß (Lüneburg): Frank Thiess - eine deutschbaltische "Führerpersönlichkeit"?