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Die lange erwartete Vorlesung aus Foucaults letztem Lebensjahr konfrontiert Sokrates mit den Kynikern, die strahlende Gründergestalt der abendländischen Philosophie mit den selbsternannten Underdogs des Denkens. In der für seine späten Texte so typischen Mischung aus Radikalität und Abgeklärtheit verfolgt Foucault die letzte große Frage seines Denkens: die Frage nach der parrhesia, nach dem freimütigen, schutzlosen, das eigene Leben aufs Spiel setzenden Sprechen. Lange vor den Manifesten des Nonkonformismus, die die Moderne vor allem unter dem Banner der Kunst und der Revolution hervorbrachte, inszeniert der Kynismus dieses freimütige Sprechen als bewußten Verstoß gegen alle Konventionen, den Philosophen als zerlumpten Außenseiter und die Philosophie als öffentliches Ärgernis. Er stellt sich so in die von Sokrates begründete Tradition eines Mutes, der "Wut, Ärger, Rache und sogar Gerichtsverhandlungen riskiert, um die Menschen gegen ihren Willen dazu zu bringen, sich um sich selbst, um ihre Seele und die Wahrheit zu kümmern". Keine philosophische Schule oder Bewegung hat diesen Mut zur Wahrheit so konsequent radikalisiert wie der Kynismus. Doch nicht nur an den Rändern der offiziellen Philosophiegeschichte fördert Foucault noch ungehobene Einsichten zutage. Auch in den sokratischen Gesprächen selbst markiert er die Punkte, an denen eine neue Lektüre der traditionellen Texte einzusetzen hätte: die Prüfung seiner selbst und der anderen, die für die kommenden Technologien des Selbst von entscheidender Bedeutung war.
About the author
Paul-Michel Foucault, geb. 15. Okt. 1926 in Poitiers, gest. am 25. Juni 1984 an den Folgen einer HIV-Infektion; studierte Philosophie und Psychologie in Paris. 1952 Assistent für Psychologie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Lille; 1955 Lektor an der Universität Uppsala (Schweden). Nach Direktorenstellen an Instituten in Warschau und Hamburg kehrte er 1960 nach Frankreich zurück, wo er bis 1966 als Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Clermont-Ferrand arbeitete. 1965 und 1966 war er Mitglied der Fouchet-Kommission, die von der Regierung für die Reform des (Hoch-)Schulwesens eingesetzt wurde. Nach einer Gastprofessur in Tunis (1965-68) war er an der Reform-Universität von Vincennes tätig (1968-70). 1970 wurde er als Professor für Geschichte der Denksysteme an das renommierte Collège de France berufen. Gleichzeitig machte er durch sein politisches Engagement auf sich aufmerksam. 1975-82 unternahm er Reisen nach Berkeley, Japan, Iran und Polen.
Summary
Die lange erwartete Vorlesung aus Foucaults letztem Lebensjahr konfrontiert Sokrates mit den Kynikern, die strahlende Gründergestalt der abendländischen Philosophie mit den selbsternannten Underdogs des Denkens. In der für seine späten Texte so typischen Mischung aus Radikalität und Abgeklärtheit verfolgt Foucault die letzte große Frage seines Denkens: die Frage nach der parrhesia, nach dem freimütigen, schutzlosen, das eigene Leben aufs Spiel setzenden Sprechen. Lange vor den Manifesten des Nonkonformismus, die die Moderne vor allem unter dem Banner der Kunst und der Revolution hervorbrachte, inszeniert der Kynismus dieses freimütige Sprechen als bewußten Verstoß gegen alle Konventionen, den Philosophen als zerlumpten Außenseiter und die Philosophie als öffentliches Ärgernis. Er stellt sich so in die von Sokrates begründete Tradition eines Mutes, der »Wut, Ärger, Rache und sogar Gerichtsverhandlungen riskiert, um die Menschen gegen ihren Willen dazu zu bringen, sich um sich selbst, um ihre Seele und die Wahrheit zu kümmern«. Keine philosophische Schule oder Bewegung hat diesen Mut zur Wahrheit so konsequent radikalisiert wie der Kynismus. Doch nicht nur an den Rändern der offiziellen Philosophiegeschichte fördert Foucault noch ungehobene Einsichten zutage. Auch in den sokratischen Gesprächen selbst markiert er die Punkte, an denen eine neue Lektüre der traditionellen Texte einzusetzen hätte: die Prüfung seiner selbst und der anderen, die für die kommenden Technologien des Selbst von entscheidender Bedeutung war.
Additional text
»Gut lesbar, als ebenso geduldiger wie ideenreicher Durchgang durch die überlieferte Textwelt der Antike angelegt.«
Report
»Gut lesbar, als ebenso geduldiger wie ideenreicher Durchgang durch die überlieferte Textwelt der Antike angelegt.« Petra Gehring Frankfurter Allgemeine Zeitung 20091130