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Was suchte einer wie er in oberlin, in dieser verschossenen kutte, in verdacht, das heer der penner zu verstärken, das temporär in leer-stehende wohnungen abtauchte, tags in düstere parks, und statistisch kaum erfassbar war, höchstens daß man eines der subjekte im rahmen einer personenkontrolle erwischt, eingestickt in den polizeibericht, berliner tatsachen, außer ein paar promille kaum etwas nachweisbar; nein, die neuralgischen punkte in mitte haben sie wohl gemieden, sicher klüger als er ...
Summary
Auf den ersten Blick erscheint Berliner Tatsachen von Jayne-Ann Igel als Kolportage hinlänglich bekannter Versatzstücke der DDR-Realität: Mauer, Polizei, Kontrollen ... Bei genauerem Hinsehen entwickelt sich aber so etwas wie eine minimalistische Tragikkomödie, und man kann sich nicht sicher sein, ob der Zeitgenosse dieser Erzählung nur naiv ist oder ob ihm nicht gar der Schalk im Nacken sitzt. Ist dieser Zeitgenosse ein modernerer Vertreter jener umstrittenen Spezie der Inneren Emigration, wie wir sie aus zeitgeschichtlichen Diskursen kennen? Oder einer jener sans papiers, wie sie heute in jedem europäischen Land zu finden sind? Berliner Tatsachen lässt sich auch als Text über den Verantwortungsspielraum des Einzelnen in einem Land lesen, das von der dominierenden Geschichtsschreibung fast ausschließlich in seinen diktatorischen Zügen thematisiert wird. Sie behauptet, es habe für den Einzelnen keinerlei Freiheitsrechte gegeben, kaum Entscheidungsspielraum. Nachträglich werden an ihren eigenen Ansprüchen Scheiternde zu Opfern des Systems erklärt und so in einer anderen Weise wiederum zu Unmündigen gemacht. Doch ist hier von einem zu lesen, der durch eigene Unzulänglichkeiten in eine schwierige Situation geraten ist, und die Folgen dieser Unzulänglichkeiten werden dann von einem Staatswesen verstärkt, dessen diktatorischer Charakter nicht zu leugnen ist.