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Die Aktion "Kinder der Landstrasse" gilt als eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte. Dieses Kapitel hat eine Vorgeschichte, es ist eingebettet in einen historischen Kontext und wirft seine Schatten bis in die Gegenwart hinein.
Zwischen 1926 und 1973 wurden 586 Kinder aus fahrenden Familien ihren Eltern weggenommen und in Pflegefamilien, meist aber in Heimen, Arbeitsanstalten und psychiatrischen Kliniken untergebracht, wo sie zu "brauchbaren Menschen" erzogen werden sollten. Hinter dieser Aktion stand die angesehene Stiftung Pro Juventute mit ihrem "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse", dessen erklärtes Ziel es war, in der Schweiz die nichtsesshafte Lebensweise zu beseitigen.
Das Buch bietet eine Darstellung des "Hilfswerks" und seines Umfelds, wie sie bisher nicht möglich war. Erstmals konnten dazu die Pro-Juventute-Akten im Schweizerischen Bundesarchiv vollumfänglich bearbeitet und ausgewertet werden.
Die Akten spielten bei dieser Aktion selbst eine wichtige Rolle. In und mittels Akten wurden Mündel bewertet und wurde ihr Leben verwaltet. Auf Akten gestützt waren auch die diskriminierenden Massnahmen der Vormunde.
Diesem allgemeinen, bislang kaum beachteten Aspekt der Wirkmächtigkeit von Akten wird ebenfalls nachgegangen. Aufgrund derselben Akten werden schliesslich die Geschichten von fünf "Kindern der Landstrasse" erzählt - von ihrer Wegnahme bis zur Aufhebung der Vormundschaft.
Eine vielfältige Vertiefung und Fortsetzung finden die behandelten Themen auf der beiliegenden DVD. Diese enthält vier Tonbildschauen, drei fiktive Dossiers und weitere Materialien. Darauf werden schliesslich aber auch diejenigen sichtbar und kommen zu Wort, deren Schicksale im Buch entlang den Akten erzählt werden. In nach Themen geordneten Filmsequenzen bekommen so die Menschen hinter den Akten ein Gesicht und eine Stimme.
List of contents
Die Aktion 'Kinder der Landstrasse'Die Stiftung Pro JuventuteDas 'Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse'Die verantwortlichen PersonenZigeuner, Vaganten, JenischeDie öffentliche und private Fürsorge in der SchweizDie KindesschutzmassnahmenDas VormundschaftswesenDas PflegekinderwesenChronik einer KindswegnahmeDie 'Kinder der Landstrasse'Das Netzwerk der Pro JuventutePflegefamilien, Dienststellen, Heime und AnstaltenWiderstand und KritikAuflösung und Aufarbeitung der Aktion 'Kinder der Landstrasse'Aktenführung und StigmatisierungAktenDie Vormundschaftsakten des 'Hilfswerks'Das 'Hilfswerk' als BüroDas 'Hilfswerk' und die Amtsvormundschaft Zürich im VergleichAktenproduktion und AktenströmeStigmatisierung in und durch AktenStigmatisierung und DiskriminierungAktenbiografienHermine Huser, 1925-2007Charlotte Dasen-Nobel, * 1940Georg Huser, * 1946Uschi Waser, * 1952Christian Mehr, * 1966Von den Akten zu den Menschen
About the author
Thomas Meier studierte Geschichte und Ethnologie. Seit 1996 arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Zürich.
Summary
Die Stiftung Pro Juventute nahm zwischen 1926 und 1973 mit Hilfe der Behörden 586 Kinder aus fahrenden Familien ihren Eltern weg und brachte sie in Pflegefamilien, Heimen und Anstalten unter. Das Ziel der Aktion war es, die 'Kinder der Landstrasse' zu 'brauchbaren Gliedern der Gesellschaft' zu erziehen und so die nichtsesshafte Lebensweise zu beseitigen.
Diese in der Schweiz des 20. Jahrhunderts beispiellose Diskriminierung einer Minderheit kann hier erstmals anhand des umfangreichen Aktenmaterials dargestellt werden. Die Akten sind aber nicht bloss Zeugen dieser Aktion, sie spielten dabei selbst eine wichtige Rolle. Mit Akten wurden Menschen bewertet und deren Leben verwaltet. Das zeigen die Aktenbiografien von fünf 'Kindern der Landstrasse'.
Veranschaulicht wird die Wirkmächtigkeit von Akten auch in den kommentierten Dossiers und in den Tonbildschauen auf der beiliegenden DVD-ROM. Dort bekommen schliesslich auch die Menschen hinter den Akten ein Gesicht und eine Stimme. Sie erzählen aus ihrem Leben.