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In seinen auf leise Art verstörenden, oft aber auch komischen Prosastücken spürt Andreas Grosz die Gegenwart des Befremdlichen und Irrealen in unserer scheinbar fest installierten Welt auf - eine unheimliche Lokalbahnfahrt unter die Oberfläche der Normalität beginnt. Mit wertungslosem Staunen schildern seine Figuren, was ihnen widerfährt.Einer zettelt versehentlich einen Krieg an, eine Soldatin desertiert mit der Nostalgiebahn, eine Leiche dient als Schatztruhe, ein pensionierter Lehrer schläft in seinem Katheder, ein Dachdecker lernt fliegen, Ludwig XVI. erscheint im 20. Jahrhundert an einem Maskenball - von solchem und Ähnlichem handeln diese Geschichten. Viele spielen in Kindheit und Jugend, und es ist darin von Liebessuche und Liebesenttäuschung die Rede.Die insgesamt 39 Prosastücke sind vier Stimmen zugeordnet. Jedes kann für sich stehen, ist aber mit den anderen durch inhaltliche oder motivische Bezüge vielfältig verbunden. Allen gemeinsam ist die schlichte Sprache und 'das Verlorensein in der verwirrenden Gleichzeitigkeit von [.] 'Realität' und 'Imagination''. (Bernhard Heinser)
Summary
'Nein, Andreas Grosz' Texte changieren nicht zwischen Alltag und Traum. Ich glaube nicht an eine solche Verniedlichung. Nur die Verharmlosung verfügt über jenes langweilige Muster, wonach der Alltag mit Trauminhalt angereichert wird, um die Sache knistern zu lassen. Nein.
Was bei Grosz knistert, ist Realität, erdauerte Realität allerdings: Ich bin fast sicher, dass seine Sätze allerlängste Anwege nehmen, große Geduld und langes Warten voraussetzen, also ein Maß an Arbeit, literarischer Arbeit, das heutzutage vollständig außer Mode ist. Diese Arbeit zahlt sich aus. Grosz' Sätze – und noch erstaunlicher: jeder einzelne Textbeginn – setzen ganz selbstverständlich Leben voraus. Gemogelt wird nicht, behauptet wird nicht. Weil das Leben nicht mit einem Plot verwechselt wird, glauben wir hier jedem Satz, dass er aus dem Leben kommt. Man kann das nur als Großtat (und GroszTat) beschreiben, wie noch die leichtesten, spielerischsten, zwanglosesten Sätze dem schwierigen, ernsten, aufs Verrückteste ernsten Leben abgeschöpft scheinen, das heißt eine Verbindlichkeit entwickeln und einen Sog aufbauen, welche offener Literatur in aller Regel nicht eigen sind. [.] Hier scheint der Beweis geliefert, dass Freiheit im Falle der Kunst eben der Glaubwürdigkeit mitnichten im Weg steht.'
Dieter Zwicky