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About the author
Wolfgang Kubin (chin. Gu Bin), geb. 1945 in Celle, ist ein deutsch-österreichisch-chinesischer Wissenschaftler und Autor. Seit 2011 lebt er in China. Als Senior Professor sind seine dortigen Stationen bisher Peking, Shantou und Shanghai. Er unterrichtet hauptsächlich chinesische und europäische Geistesgeschichte. Bekannt geworden ist er vor allem durch seine Geschichte der chinesischen Literatur in zehn Bänden (de Gruyter 2012 / WBG 2023) und durch seine zahlreichen Übersetzungen aus dem Chinesischen, zuletzt Klassische chinesische Denker in zehn Bänden (Herder 2020). Gegenwärtig bereitet er Klassische chinesische Dichter in zwölf Bänden (Bacopa 2023ff) vor.
Wolfgang Kubin ist Professor auf Lebenszeit an der Universität Bonn (Sinologie, Übersetzungswissenschaft). Wenn nicht in China, lebt er in Bonn bzw. in Wien. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. China und Deutschland haben ihn mehrfach ausgezeichnet.
Summary
In diesen wenigen Tagen hat man mir zuviel Schnaps zugesteckt. Er verlangt flehentlich nach einem Verzehr, denn er will nicht zurückgelassen sein. Er weiß, er paßt mit seiner Fülle nicht in den Koffer. Also hat eine Flasche vernichtet zu werden, wie man im Westfälischen zu sagen pflegt. Ich entscheide mich für meinen Lieblingstropfen, für Wuliangye mit 68 %, und ziehe zum Alten Bund. Vor der renovierten Kirche dort lassen sich Hochzeitspaare fotografieren. Ich kehre ihnen den Rücken zu, denn ich will mit dem Blick auf den Huangpu den Schnaps in meinen Flachmann und in eine Plastikflasche abfüllen. Aus der bauchigen und schweren Flasche ließe sich nicht gut trinken. Mein Flachmann ist wohlverstaut. Er denkt weniger an meinen Schnapstopf in Peking, der auf seine zwei und einen halben Liter à 60 % stolz ist, er denkt neidvoll an die Reklame der Tageszeitung China Daily, die ich ihm am vorletzten Dienstag im August zumutete. Sie zeigte den größten Schnapsbehälter der Welt, einen Topf, der 353 Liter umfaßt. Mein Flachmann weiß, er ist im Vergleich nur ein Fingerhut. Ich kann seinen Schmerz verstehen. Denn es zieht mich wie Li Bai magisch zu dem Riesen hin. Ob chinesischer Dichter oder deutscher Nacheiferer, wir hätten nur den einen Wunsch, diesen Giganten auf einen einzigen Sitz zu leeren, um so die Trauer von Äonen ein für allemal zu beenden.