Description
Product details
Authors | Maxim Leo |
Publisher | Kiepenheuer & Witsch |
Languages | German |
Product format | Hardback |
Released | 10.02.2022 |
EAN | 9783462000849 |
ISBN | 978-3-462-00084-9 |
No. of pages | 304 |
Dimensions | 131 mm x 28 mm x 27 mm |
Weight | 422 g |
Subjects |
Fiction
> Narrative literature
> Contemporary literature (from 1945)
Lachen, Berlin, erste Hälfte 21. Jahrhundert (2000 bis 2050 n. Chr.), Gesellschaft und Kultur, allgemein, Zweite Hälfte 20. Jahrhundert (1950 bis 1999 n. Chr.), Ostdeutschland, DDR, Mauerfall, entspannen, Liebesgeschichte, Wiedervereinigung, DDR-Flucht, Prenzlauer Berg, Ost-West-Beziehungen, Heldengeschichte, Stasi-Akten, Wo wir zu Hause sind, Medien-Satire |
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Ein deutsch-deutscher Schelmenroman
Michael Hartung, Ex-Stellwerkarbeiter bei der ostdeutschen Bahn, später Stasi-Inhaftierter und nach der Wende in diversen Geschäften mehr oder minder erfolglos, hat in seiner mittlerweile mies laufenden Videothek "Moviestar" zwar, wie bei ihm üblich, den Trend der Zeit verschlafen, aber lebt sein Leben genügsam und alten Erinnerungen nachhängend inmitten längst vergessener Filmklassiker und den gelegentlichen Feierabend-Bierflaschen. Als eines Tages ein Reporter bei ihm auftaucht und ein über 35 Jahre zurückliegendes Missgeschick als heldenhafte DDR-Fluchthilfe neu interpretiert, gerät Hartung als Retter wider Willen ins gleißend helle Licht einer medialen Öffentlichkeit auf der Suche nach neuer Beute. Ein irrer Trip beginnt ...
Maxim Leos "Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße" ist ein Stück neuer deutscher Literatur, das es sich mit unbeirrter Selbstsicherheit zwischen den sarkastischen Kalauer-Kladden auf den Bestsellerregalen der großen Buchhändler und der eher feinsinnigen Verschrobenheit eines Sven Regener gemütlich macht und seinen Antihelden Michael Hartung als moderne Kollage aus Münchhausen, Eulenspiegel und dem Simplicissimus anlegt. So wie die großen Vorbilder hält auch Hartung der deutsch-deutschen Wirklichkeit mit beißendem Spott einen Spiegel vor, demontiert die heutige Medienlandschaft ähnlich mitleidlos wie zuletzt Timur Vermes in "Er ist wieder da" und hat dabei einige sehr kluge Sätze zum Verhältnis der ehemals voneinander getrennten alten und neuen Bundesländer zu sagen. Letztendlich bleibt, abseits einer wirklich amüsanten Geschichte mit teils überzeichneten, aber (fast) immer sympathischen Figuren, die Erkenntnis eines gewollten Missverständnisses, mit dem sich die Öffentlichkeit ihr eigenes Bild von den Mentalitäten im geteilten Deutschland zurechtbastelt. Leo wird dieses Bild nicht geraderücken können, aber er lüpft gekonnt den Vorhang und legt den Finger auf alte Wunden, nostalgische Verklärung und verallgemeinerte Feindbilder gleichermaßen. Hüben wie drüben: Nicht alles war schlimm. Manches war schlimmer. Und einiges besser. Aber alles war anders.
Derzeitiger Top-Tipp für Leser unterhaltsamer deutscher Gegenwartsliteratur. Maxim Leo hat's drauf! -
Held wider Willen
Ich liebe ja verkrachte Existenzen und Michael Hartung ist so eine: In der DDR aufgewachsen, bei der Bahn Stellwerkmechaniker gelernt und zack - kaum die Ausbildung abgeschlossen, wird sein Job schon damals automatisiert. Auch verschiedene andere Umschulungen wurden immer vom Fortschritt wieder aufgefressen, gerade wenn er sich irgendwie angekommen wähnte.
1997 ist er in einer Videothek gelandet und der Umstieg zur DVD und Blu-Ray scheint erstmal gar nicht so schlimm und er beginnt mit technischem Fortschritt nicht mehr ganz so zu hadern. Tja, 2019 in Zeiten von Netflix und Co hängt er immernoch in der Videothek herum, die nun (leider) seine eigene ist und wären nicht die Mietschulden, würde er sich sogar damit arrangieren, denn arbeiten war eigentlich noch nie so sein Ding.
Als der Journalist bei ihm auftaucht, der sich anlässlich des 30jährigen Jubiläums des Mauerfalls auf der Spur einer großen Fluchtstory aus dem Jahr 1983 wähnt und ihm einen Batzen Geld anbietet, will Michael einfach nur schnelles Geld verdienen und seine Ruhe.
Die ganze Geschichte wird aber dermaßen aufgebauscht und selbst seine Tochter, die ihn für einen Verlierer hielt, entwickelt mehr und mehr Interesse an ihm, so dass er sich weiter darauf einlässt und bald die Geister, die er rief, nicht mehr los wird...
Ich kann Michael verstehen. Er hat sich immer wieder aufgerappelt, aber nur soweit, wie er musste. Dass die S-Bahn mit 127 Menschen damals in den Westen fahren konnte, war weder geplant noch eine heroische Tat von ihm. Trotzdem wurde er damals festgenommen und verhört. In den Akten wird aus 4 Tagen Haft gleich ein halbes Jahr mit Folter, woran er sich partout nicht erinnern kann.
Die Heldengeschichte enteilt ihm und er findet sich in einer Spirale wieder, die er nicht mehr steuern kann.
Der Schreibstil gefällt mir sehr, denn das Ganze lässt sich so dermaßen weglesen, dass man meint, durch die Seiten zu fliegen. Bei aller Komik, die mitschwingt, ist es aber vor allem die Tragik, die das Buch so melancholisch, aber auch lesenswert macht.
Ein schönes Stück Literatur, das den damaligen Zeitgeist einfängt ohne zu moralisieren oder gar zu bewerten! -
Heldenhaft gut!
Michael Hartung besitzt eine Videothek in Berlin und lebt am absoluten Existenzminimum. Eines guten Tages betritt ein Journalist seine Videothek. Er möchte ein Interview mit Hartung. Anlass ist eine Recherche zu einer Massenflucht aus der DDR, bei der 127 Menschen in einem S-Bahnzug über den Bahnhof Friedrichstraße in den Westen gelangten. Der Journalist will in den Stasi-Akten gelesen haben, dass Hartung damals die Weiche gestellt hat, sodass der Zug in den Westen rollen konnte. Hartung bestreitet dies vehement, doch der Journalist lässt nicht locker. Tatsache ist nämlich, dass Hartung damals den Auftrag hatte, die Weiche umzulegen, um einen einzigen Zug aus der im Ostteil der Stadt gelegenen Werkstatt wieder in den Westen zurückzuführen. Dabei brach ihm der Bolzen ab, sodass die Weiche falsch gestellt blieb. Seiner Faulheit war es zu verdanken, dass so ein weiterer Zug unbeabsichtigt in den Westen rollen konnte. Als der Journalist überhaupt nicht locker lassen will und für das Interview eine ganze Stange Geld bietet, nutzt Hartung seine Chance und erzählt die Wahrheit ein wenig neu. Die Medien sind begeistert und überrollen ihn förmlich mit Angeboten. Eine herrliche Hochstaplergeschichte setzt sich in Gang. Hartung könnte sein Leben nun genießen, wenn ihm nicht jemand auf die Schliche kommen würde und er sich noch dazu Hals über Kopf verliebt. Wird seine neue Liebe diese Lüge überleben?
Wer den Grenzübergang Friedrichstraße kannte, wird den Ort in dieser Geschichte schnell wiedererkennen. Schnell sind die Erinnerungen wieder da: von dem typischen Ost-Geruch, den wachsamen Blicken der Vopos, verlassene S-Bahnhöfe, die beim Durchfahren gespenstisch anmuten, hinter jeder Säule ein Vopo mit Gewehr im Anschlag. Wie traumhaft die Vorstellung, dass einfach unbemerkt ein Zug in den Westen rollen konnte!
Ich habe dieses Buch mit großem Vergnügen gelesen. Nicht nur, dass es bei mir viele Erinnerungen geweckt hat, es hat auch nachdenklich gemacht: Was ist eigentlich Wahrheit? Und hat jeder oder jede Sichtweise ihre eigene Wahrheit? Das Buch lässt sich herrlich leicht in einem Rutsch durchlesen. Der Schreibstil von Maxim Leo ist flüssig. Die Geschichte fängt langsam an und steigert sich ab der Mitte mit rasanten Tempo, sodass ich Probleme hatte, das Buch wegzulegen. Einziges Manko: Das Cover zeigt die neue Baureihe der S-Bahn-Züge, die damals noch nicht fuhren. Trotzdem von mir die volle Leseempfehlung! -
Ein liebenswerter Held wider Willen
Angelegt ist die Geschichte einige Wochen vor dem 30jährigen Jubiläum anlässlich des Falls der Mauer. Ein Journalist spürt in Erwartung einer großen Story Michael Hartung auf, der 1983 als Eisenbahner der Deutschen Reichsbahn gearbeitet hat und am Stellwerk Friedrichstraße einen mit 127 Personen besetzten S-Bahnzug unabsichtlich nach West-Berlin geleitet hat. Der Journalist macht aus ihm einen heldenhaften Fluchthelfer. Gegen einen kleinen Obolus ist Hartung schließlich selbst bereit, diese Rolle einzunehmen. Seine Geschichte wird publikumswirksam vermarktet. Höhepunkt soll eine Rede werden, die Hartung am 9. November im Bundestag halten soll. Doch er selbst hat bald die Nase voll, zumal er sich in eine Frau verliebt hat, die seinerzeit in dem Zug in die Freiheit gelangte und er ihr gegenüber ehrlich sein will. Doch Personen aus verschiedenen Kreisen – Bürgerrechtler, Stasi, Politiker – haben aus unterschiedlichen Beweggründen ein Interesse, über sein Outing mitzubestimmen. Wird Hartung noch die Kurve kriegen?
Dieser Roman widmet sich in satirisch-ironischer Art der Wiedervereinigung von Bundesrepublik und DDR und versucht humorvoll darauf hinzuweisen, dass Ost- und Westdeutsche gar nicht so unterschiedlich sind. Viele Klischees werden aufgenommen. Sehr unterhaltsam war es zu lesen, wie sich Hartungs vermeintliches Heldentum rasant verselbständigte und es gar nicht mal nur noch an ihm lag, alles aufzudecken. Alles lebt von den liebevoll gezeichneten Charakteren, allen voran dem charmanten Hartung.
Sehr zu empfehlen.
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