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Europa ist ein Grenzland (Karl Schlögel). Dessen Grenzen wurden zwar durch Überschreitungs- und Inklusionskonzepte in Frage gestellt, blieben aber doch präsent und erlebten überdies eine Renaissance, etwa in der zerfallenden Sowjetunion, im vormaligen Jugoslawien oder bei den aktuellen Autonomiebewegungen. Indes definieren nicht nur Nationalkulturen solche Grenzen, die lange nur als Konfliktlinien begriffen wurden; auch in einzelnen Staaten erscheinen verschiedenste Grenzgebiete, oft als riskante Zonen des Übergangs, der Überwachung und des Streits.Verhandelt werden Grenzen aber nicht nur politisch, sondern auch im Feld der Kultur. Hier erweisen sich Grenzregionen aller Art, konkret wie metaphorisch, stets als Auslöser und Gegenstand von Deutungsprozessen, die eine große Dynamik gewinnen können. Die Tagung untersucht vor diesem Hintergrund Verhandlungen von Grenzgebieten unterschiedlichster Art in der Literatur als einem der komplexesten Systeme menschlicher Selbstbeobachtung und -deutung.Mit der Frage nach Grenzrisiken soll eine ambivalente neue Metapher eingeführt werden: Als noch akzeptables Risiko verweist der Begriff auf eine Zone des Übergangs zwischen Sicherheit und Gefahr - bezogen auf semantische Territorialisierungen öffnet sich hier ein weites Spektrum bis zum Störfall der Grenzüberschreitung, in dem sich literarische Grenzerfahrung konstituiert: Wie entwickeln sich solche kulturellen Selbstbeschreibungsformeln um die Grenzen, wie treiben aus Grenzgebieten spezifische Erzählmuster hervor?
List of contents
Ulrich Fröschle: Grenzrisiken? Europäische 'Grenzregionen' als dynamische SemiosphärenI.Kulturelle Konzepte - Grenzen und RäumeJohannes Kleine: Teleologie und Paradoxon. Zur Betrachtung von Grenzen in der GegenwartsliteraturSteffen Höhne: Claudio Magris, Fernand Braudel und David Abulafia. Kulturelle Konstruktionen von RäumenII.Grenzüberschreitungen - Mittel- und osteuropäische SzenarienAnne Hultsch: Die nordböhmisch-sächsische Grenzregion. 'Ein Ort des permanenten Dialogs'?Giusi Zanasi: Erzählräume und Bilder osteuropäischer 'Peripherien' Annette Teufel: Aufbrüche - Abgründe - Brüche. Vladimir Vertlibs literarische GrenzgängeAntje Graf: Über Grenzen spazieren. Überlegungen zum Umgang mit der Grenze in Michael Köhlmeiers Die Abenteuer des Joel SpaziererJuliane Horn: Ein »ganz besonderes Reisegepäck: die innere Haltung eines Doppelemigranten«. Migration als (meta)physische Grenzsituation im Werk Dieter SchlesaksGabriella Sgambati: »Innere Kompassnadel immer nach Osten«. Die porösen Grenzen von Ilma RakusaIII.Grenzziehung, Rauminszenierung und -wahrnehmung - Von der 'Mitte' in den Süd(ost)enWalter Schmitz: Bergblut (2010), Runkelstein (1833) und die 'häßliche Herzogin Margarete Maultasch' (1363/1923). Vom Gebrauch der Geschichte und der Medialisierung des Tiroler HerrschaftskonfliktsBernhard Arnold Kruse: Grenzidentitäten in Südtirol. Zum literarischen Werk von Josef ZodererDaniela Allocca: Vorläufige Kartographien. Grenzüberschreitungen bei Marica BodrozicTorsten König: Die Mittelmeermigration in der italienischen Gegenwartsliteratur. Biopolitik und Erzählung in gesellschaftlichen, medialen und poetologischen KontextenIV.Alte und neue Grenzräume - Periphere Entgrenzungen und urbane GrenzzonenValentina Di Rosa: Archäologie des Verschwindens. Wenden und Wunden der wiedervereinigten LandschaftOstdeutschlandsEnza Dammiano: »Zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht-dort«. Ingo Schulzes OrteLorenzo Licciardi: Urbane Grenzziehungen. Digitale Überwachung und Ausschlußmechanismen in UlrichPeltzers 'Sony Center'V.Regimes der Aus- und Eingrenzung - Fiktionale Extrapolationen in die ZukunftAnett Pollack: »Und möge das Glück ...« nicht der entscheidende Faktor sein. Wahrnehmung und Beeinflußung von Grenzrisiken in Die Tribute von PanemAutorenverzeichnis
About the author
Ulrich Fröschle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der TU Dresden. Er veröffentlichte die Gesamtbibliographie zu Friedrich Georg Jünger, erschienen im Deutschen Literaturarchiv, Marbach