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Jiaxin Wang
Nachgereichte Gedichte
German · Hardback
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Description
Als Historiker der mißhandelten Schöpfung und einer geknechteten Gesellschaft hat sich Wang Jiaxin nicht nur in seinen Gedichten und Essays der geschundenen Kreatur angenommen, sondern ebenfalls in seinen Übersetzungen. Da sind die liebsten Beispiele (Sowjet)russische Autoren und vor allem Paul Celan (1920-1970), also große Persönlichkeiten, die mit ihrem Sterben wahrmachten, was Wolfgang Leonhard (1921-2014) einmal mit folgenden Worten in seinem Standardwerk auf den Punkt brachte: Die Revolution frißt ihre Kinder (1955). Daß alles Schreiben mit dem Gedächtnis bzw. mit der Erinnerung beginne, wissen wir auch aus China. Doch chinesische Literatur heute ist oftmals nur ein Werkzeug des kollektiven Gedächtnis, weniger ein Hilfsmittel zu persönlicher Erinnerung. Darum erscheint sie uns mitunter so langweilig.
Es kann nicht ausbleiben, daß die Übertragung von Wang Jiaxin für den Übersetzer nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine persönliche Herausforderung darstellt. Der Dichter hat sich verwundert gezeigt, wie lange ich diesmal für seinen zweiten Gedichtband auf deutsch brauchte, wo ich doch den ersten (Dämmerung auf Gotland. Ottensheim: Thanhäuser 2011) in kürzester Zeit abgeschlossen hatte. Vielleicht grübelte ich drei Jahre über den Manuskripten und dachte an meine Kulturrevolution, da ich in einem smogfreien Peking bei oft blauem Himmel und berückendem Sonnenlicht ein Jahr lang modernes Chinesisch erlernte (1974/75). Vielleicht erging es mir wie dem Pekinger Literaturkritiker Tang Xiaodu (geb. 1954), der in der tiefsten Krise seines Lebens das Übersetzen als seinen größten Trost empfand. Nebenbei bemerkt: Wang Jiaxin mag ähnlich seinen Trost bei Homer (8. Jh.v. Chr.) und Dante, (1265-1321), bei Emily Dickinson (1830-1886) und Sylvia Plath (1932-1963) finden, vielleicht auch bei den Ortsnamen von Shandong, einer Provinz, die ihm zur Heimat geworden ist. Hat also alles Schreiben und Übertragen etwas Autobiographisches an sich? Ich plädiere eher für den Dialog. Es sind immer andere uns vorausgegangen. Diese haben ähnliche Erfahrungen gemacht: Sie schrieben und sie übersetzten. Und sie erinnerten sich. So wie ich mich an den 10. August 2016, als ich morgens um 2 Uhr 30 längst aufgestanden, an den Texten arbeitete. Im Nachtprogramm des Westdeutschen Rundfunks spielte Glenn Gould (1932-1952) die Goldstein-Variationen in der Aufnahme von 1982, die ich durch den Dichter vor zehn Jahren und mehr in dessen Auto kennengelernt hatte.
Fassen wir uns kurz: Schreiben ist Krise und Trost, Übersetzen ebenfalls. Wir denken über unsere Kinder nach, die als Fleisch und Blut oder als Papier und Druckerschwärze unser Haus verlassen (haben). Wir bleiben einsam zurück und danken: Zhang Bingye (Bonnie Zhang), die mir an der Universität Shantou bei Fragen der Deutung zur Seite stand, George O'Connell für die Gespräche über unseren gemeinsamen chinesischen Freund. Erst als mein Manuskript in einer sogenannten Rohform abgeschlossen war, erschien Darkening Mirror (New & Selected Poems. Wang Jiaxin. Tebot Bach: Huntington Beach 2016). Wenn in meinen Zweifeln, schaute ich in die Übertragung des amerikanischen Dichters und von dessen Partnerin Diana Shi nachträglich hinein. Wir hatten dieselben Probleme, denn nicht immer ist Wang Jiaxin so verständlich, wie er zu sein vorgibt. Und so wuchs mein Anspruch an mich selbst: Die deutsche Sprache ist nicht weniger leicht als die chinesische. Sie ist die Hölle, wenn man es gut mit ihr meint. Auch dies war ein Grund, warum die Arbeit am Text diesmal so viel Zeit in Anspruch nahm. Vielleicht dankt es ja die werte Leserschaft.
Die Übersetzungen entstanden hauptsächlich im Paradies der Universität Shantou und in der Idylle von Bonn-Holzlar. So fand Trost zu Trost.
About the author
WANG, Jiaxin, geb. 1957 in der Provinz Hubei als Sohn von ehemaligen Großgrundbesitzern, durfte daher ursprünglich nicht in die Mittelschule gehen. Begann 1972 mit dem Schreiben, 1978 mit der Publikation von Gedichten. 1974 nach Abschluß der Mittelschule aufs Land zur körperlichen Arbeit verschickt. 1977 Aufnahme in die Universität Wuhan. Daselbst das Studium der Sinologie 1978 bis 1982. Danach aufs Land als hauptamtlicher Lehrer verschickt. 1985 Redakteur der traditionsreichen Zeitschrift für Poesie (Shikan) in Peking (bis 1990). 1987 Beginn der Edition von Anthologien chinesischer und ab 1989 auch ausländischer Poesie. Ab 1988 Kolumnist von Tageszeitungen und Wochenmagazinen: regelmäßige Veröffentlichungen zur Situation der Literatur im In- und Ausland. Durch Übersetzungen ins Englische wird er 1989 über China hinaus bekannt. Eine Teilnahme am Lyrikfestival von Rotterdam wird ihm 1990 und 1991 verwehrt. Grund: die Ereignisse vom 4. Juni 1989. 1991 Beginn der lebenslangen Übersetzung von Paul Celan (aus dem Englischen). 1992-1994 als Auslandsstudent in London: Studium des Englischen. Nun sind Reisen und Begegnungen an internationalen Festivals möglich. Seit 1993 anhaltende Übersetzung von Canetti, seit 1994 erfolgt die fortgesetzte Beschäftigung mit Kafka. Ab demselben Jahr beginnt die Übersetzung englischsprachiger Literatur (Yeats, Auden, Dickinson u.a.). Nach der Rückkehr Berufung in die sinologische Abteilung der Akademie für die Lehrerausbildung. 2003 daselbst Ernennung zum Professor.
1997 erste Reise in die USA, fortan regelmäßig kürzere Aufenthalte daselbst für Lesungen, Vorträge und Konferenzen (u.a. Schreibzentrum Iowa). 1996/7 Beginn einer lebenslangen Auseinandersetzung mit und Übertragung von russischer Lyrik (Achmatowa, Brodsky). 1997/8 für ein halbes Jahr in der Kulturakademie Schloß Solitude bei Stuttgart als eine Art poet in residence.
Ende 1998 Bau eines Hofhauses auf dem Land bei Peking und Umzug. Frühjahr 2001 drei Monate Gast in der Villa Waldberta bei München. Im Februar Begegnung mit Durs Grünbein. Februar 2004 Gastauftritt in der Bundeskunsthalle von Bonn. 2006 Ruf an Chinas drittwichtigste Universität, an die Pekinger Volksuniversität als Professor für creative writing. Seitdem auch Organisator von internationalen Lesungen, Festivals und Gelegenheiten für poets in residence. Im Frühjahr 2009 (Neu)Übersetzung von Celan auf Schloß Solitude. Im März Besuch der Leipziger Buchmesse mit anschließender Lesereise. Im April Literaturpreis in Korea. März 2012 bei den Literaturtagen von Rauris (Österreich), Mai 2013 bei den Lyrischen Tagen von Münster. Mai 2014 Literaturpreis in Korea. Juni 2016 Teilnahme am Sinologenkongreß von St. Petersburg (Vortrag zu Mandelstam in China).
Wang Jiaxin lebt seit etwa zehn Jahren mit zweiter Frau und zweitem Sohn wieder in der Innenstadt von Peking.
Summary
Als Historiker der mißhandelten Schöpfung und einer geknechteten Gesellschaft hat sich Wang Jiaxin nicht nur in seinen Gedichten und Essays der geschundenen Kreatur angenommen, sondern ebenfalls in seinen Übersetzungen. Da sind die liebsten Beispiele (Sowjet)russische Autoren und vor allem Paul Celan (1920-1970), also große Persönlichkeiten, die mit ihrem Sterben wahrmachten, was Wolfgang Leonhard (1921-2014) einmal mit folgenden Worten in seinem Standardwerk auf den Punkt brachte: Die Revolution frißt ihre Kinder (1955). Daß alles Schreiben mit dem Gedächtnis bzw. mit der Erinnerung beginne, wissen wir auch aus China. Doch chinesische Literatur heute ist oftmals nur ein Werkzeug des kollektiven Gedächtnis, weniger ein Hilfsmittel zu persönlicher Erinnerung. Darum erscheint sie uns mitunter so langweilig.
Es kann nicht ausbleiben, daß die Übertragung von Wang Jiaxin für den Übersetzer nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine persönliche Herausforderung darstellt. Der Dichter hat sich verwundert gezeigt, wie lange ich diesmal für seinen zweiten Gedichtband auf deutsch brauchte, wo ich doch den ersten (Dämmerung auf Gotland. Ottensheim: Thanhäuser 2011) in kürzester Zeit abgeschlossen hatte. Vielleicht grübelte ich drei Jahre über den Manuskripten und dachte an meine Kulturrevolution, da ich in einem smogfreien Peking bei oft blauem Himmel und berückendem Sonnenlicht ein Jahr lang modernes Chinesisch erlernte (1974/75). Vielleicht erging es mir wie dem Pekinger Literaturkritiker Tang Xiaodu (geb. 1954), der in der tiefsten Krise seines Lebens das Übersetzen als seinen größten Trost empfand. Nebenbei bemerkt: Wang Jiaxin mag ähnlich seinen Trost bei Homer (8. Jh.v. Chr.) und Dante, (1265-1321), bei Emily Dickinson (1830-1886) und Sylvia Plath (1932-1963) finden, vielleicht auch bei den Ortsnamen von Shandong, einer Provinz, die ihm zur Heimat geworden ist. Hat also alles Schreiben und Übertragen etwas Autobiographisches an sich? Ich plädiere eher für den Dialog. Es sind immer andere uns vorausgegangen. Diese haben ähnliche Erfahrungen gemacht: Sie schrieben und sie übersetzten. Und sie erinnerten sich. So wie ich mich an den 10. August 2016, als ich morgens um 2 Uhr 30 längst aufgestanden, an den Texten arbeitete. Im Nachtprogramm des Westdeutschen Rundfunks spielte Glenn Gould (1932-1952) die Goldstein-Variationen in der Aufnahme von 1982, die ich durch den Dichter vor zehn Jahren und mehr in dessen Auto kennengelernt hatte.
Fassen wir uns kurz: Schreiben ist Krise und Trost, Übersetzen ebenfalls. Wir denken über unsere Kinder nach, die als Fleisch und Blut oder als Papier und Druckerschwärze unser Haus verlassen (haben). Wir bleiben einsam zurück und danken: Zhang Bingye (Bonnie Zhang), die mir an der Universität Shantou bei Fragen der Deutung zur Seite stand, George O'Connell für die Gespräche über unseren gemeinsamen chinesischen Freund. Erst als mein Manuskript in einer sogenannten Rohform abgeschlossen war, erschien Darkening Mirror (New & Selected Poems. Wang Jiaxin. Tebot Bach: Huntington Beach 2016). Wenn in meinen Zweifeln, schaute ich in die Übertragung des amerikanischen Dichters und von dessen Partnerin Diana Shi nachträglich hinein. Wir hatten dieselben Probleme, denn nicht immer ist Wang Jiaxin so verständlich, wie er zu sein vorgibt. Und so wuchs mein Anspruch an mich selbst: Die deutsche Sprache ist nicht weniger leicht als die chinesische. Sie ist die Hölle, wenn man es gut mit ihr meint. Auch dies war ein Grund, warum die Arbeit am Text diesmal so viel Zeit in Anspruch nahm. Vielleicht dankt es ja die werte Leserschaft.
Die Übersetzungen entstanden hauptsächlich im Paradies der Universität Shantou und in der Idylle von Bonn-Holzlar. So fand Trost zu Trost.
Product details
Authors | Jiaxin Wang |
Assisted by | Wolfgang Kubin (Translation) |
Publisher | Bacopa |
Languages | German |
Product format | Hardback |
Released | 31.12.2017 |
EAN | 9783903071407 |
ISBN | 978-3-903071-40-7 |
No. of pages | 98 |
Dimensions | 132 mm x 201 mm x 17 mm |
Weight | 286 g |
Subjects |
Fiction
> Poetry, drama
> Poetry
Chinesische SchriftstellerInnen; Werke (div.), Gedichte, Reime (dt.) div., Lyrik, Alltag, China, erste Hälfte 21. Jahrhundert (2000 bis 2050 n. Chr.), empfohlenes Alter: ab 16 Jahren, Leiden, zeitgenössisch, Dichter der Beiläufigkeit, Ostasiatische und indische Philosophie |
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