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So viel Einfalt bey so viel Verstand, so viele Güte bey so viel Festigkeit, und die Ruhe der Seele bey dem wahren Leben und der Thätigkeit.' Mit diesen Worten umschreibt Werther in Goethes Briefroman 'Die Leiden des jungen Werthers' Lotte, 'eines der liebenswürdigsten Geschöpfe', einen 'Engel'. Thomas Mann, schon seit längerem daran interessiert, 'die Grösse Goethes zu relativieren', geht auf dessen 'Werther' literarisch ein - das 'Fazit lebenslanger Beschäftigung mit dem grossen Schriftstellerkollegen'. Er beschreibt in seinem Roman 'Lotte in Weimar' die bereits dreiundsechzigjährige Frau als eine 'Matrone [...] schon recht bei Jahren', 'mit ruhiger Würde' ausgestattet, die sich, nachdem etwa ein halbes Jahrhundert seit ihrer Freundschaft zum Genius vergangen ist, auf die Reise nach Weimar macht, um ihre Schwester zu besuchen. Dabei lässt sie es sich nicht entgehen, den Jugendfreund noch einmal wiederzusehen. Beiden Romanen - Goethes 'Werther' direkt, Manns 'Lotte in Weimar' jedoch nur indirekt - diente die im Januar des Jahres 1753 geborene Charlotte Sophie Henriette Buff als Vorlage für die literarische Figur 'Lotte'. Goethe lernt Charlotte, die als zweitälteste Tochter nach dem frühen Tod der Mutter für ihre neun jüngeren Geschwister sorgt, im Juni 1772 auf dem Weg zu einem Ball anlässlich des Geburtstags und der Verlobung ihrer älteren Schwester Karoline kennen. Am darauf folgenden Tag trifft Goethe im Hause Buff auf Charlotte, die damit beschäftigt ist, das Brot für ihre Geschwister zu schneiden und es an dieselben zu verteilen.