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Angesichts der Herausforderung durch die Aufnahme von hunderttausenden Flüchtlingen aus dem islamischen Raum und den Umgang mit den aktuellen Migrationsbewegungen rückt das gestörte europäische Selbstverständnis, die europäische Identitätskrise, immer verstörender ins Bewusstsein. Welche Werte, welche Bürger-Identität, welche Identifikation bietet Europa Flüchtlingen an, die nicht nur ihr materielles und menschliches Elend bewältigen müssen, sondern die zugleich eine neo-absolutistische Weltanschauung vormoderner ethnisch-religiöser Prägung mit sich nach Europa bringen? Bassam Tibi diagnostiziert die Vorherrschaft eines Narrativs, das vor lauter Kultur- und Werterelativismus keine Unterscheidung zwischen Toleranz und Selbstverleugnung mehr kennt. Er stellt der mit absolutem Anspruch vorgetragenen Gesinnungsethik aktueller deutscher Politik eine Besinnung auf und ein Eintreten für das entgegen, was Europa zivilisatorisch ausmacht: Eine europäische Kultur, die auf Vernunft und Aufklärung fußt und daraus, mit ausdrücklich universellem Anspruch, unverhandelbare und individuelle Menschen- und Freiheitsrechte ableitet, für sie aktiv eintritt - und sie zugleich entschieden gegen antidemokratische Ideologien verteidigt, die durch ihren totalitären Anspruch Demokratie, Freiheit und die offene Gesellschaft als solche bedrohen und akut gefährden. Bassam Tibis bestechende Analyse, in der er 1998 den Begriff einer europäischen Leitkultur einführte und damit die Debatte um eine speziell deutsche Leitkultur - gegen die Tibi vehement eintritt - lostrat, wird hier endlich neu und aktualisiert zugänglich gemacht, erweitert um eine über hundert Seiten umfassende Einführung, die seine Warnungen in den aktuellen Kontext von Migration und Flüchtlingskrise einbettet.
About the author
Bassam Tibi, Jahrgang 1944, wuchs in Damaskus auf und lernte bereits als Kind den kompletten Koran auswendig. 1962 kam er nach Deutschland, wo er Sozialwissenschaft, Philosophie und Geschichte studierte - unter anderem bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Mit 28 Jahren wurde er Professor für Internationale Beziehungen in Göttingen. Tibi lehrte und forschte u.a. an der Universität Göttingen, in Harvard, an der Cornell University (Ithaca, New York), in Berkeley und Yale; daneben hatte er mehrfach DAAD-Gastprofessuren in Afrika und Asien inne. Ein Ruf an die Bilkent-Universität in Ankara wurde 2009 annulliert, nachdem er sich kritisch zur Türkei geäußert hatte. Seit 2014 hat er seine Lehrtätigkeit in Göttingen als Professor emeritus wieder aufgenommen.
Tibi gilt als Begründer der Islamologie, ist Mitinitiator der arabi¬schen Organisation für Menschenrechte und prononcierter Vertreter des Aufklärungs-Islam. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde er durch seine zahlreichen Publikationen zum Islam.