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essay & poesie
Die Reihe bringt Texte, die sich der Analyse unterschiedlichster Beziehungen sprachlicher/nichtsprachlicher Zeichenebenen sowie der interkulturellen Brechungen widmen. Die Reihe versucht, einen interdisziplinären Diskurs zu Zeichenrelationen offenzuhalten, Schnittpunkte zu fixieren und mögliche Verlaufslinien zu skizzieren.
Die Randzeichnungen, die Robert Scherers Exemplar der ausgewählten Gedichte Rilkes bedecken, verdanken sich einer biographisch einschneidenden Situation; sie sind auf den frühesten Fahrten zur Kunstakademie in Wien (1950/51) entstanden, wo er u. a. bei dem Maler und Dichter Albert Paris Gütersloh zu studieren beabsichtigte. Die Zeichnungen sind mithin lesbar als Spuren oder Miniaturen einer existentiellen Ablösung, eines Bruchs und eines Übergangs. Sie repräsentieren kein artifizielles Konstrukt im Sinne der auf Dürer zurückgehenden Tradition arabesken und grotesken Buchschmucks. Auf der Fahrt, en-passant, entstanden, das meint auch einen momentanen Zug, eine eher unbewachte Gebärde der Seele und der Hand. Von der Suprematie des kontrollierenden Auges befreit, wird die Bewegung der zeichnenden Hand zur spontanen Geste.
About the author
Rainer M. Rilke (1875-1926), der Prager Beamtensohn, wurde nach einer erzwungenen Militärerziehung 1896 Student, zuerst in Prag, dann in München und Berlin, weniger studierend als dichtend. Die kurze Ehe mit der Bildhauerin Clara Westhoff in Worpswede löste er 1902 auf. Er bereiste darauf Italien, Skandinavien und Frankreich. In Paris schloß er Bekanntschaft mit Rodin und wurde dessen Privatsekretär. Bereits nach acht Monaten kam es zum Bruch. Es folgten unstete Jahre des Reisens mit Stationen in verschiedenen Städten Europas. Nach seinem Entschluß zur Berufslosigkeit und zu einem reinen Dichterdasein war Rilke zu jedem Verzicht bereit, wenn es dem Werk galt. Er opferte sein Leben seiner Kunst und gewann Unsterblichkeit, indem er unerreichte Sprach- und Kunstwerke schuf.§Im Ersten Weltkrieg war er zur österreichischen Armee eingezogen, wurde aber aufgrund seiner kränklichen Konstitution in das Wiener Kriegsarchiv versetzt. Rilke starb nach langer Krankheit in Val Mont bei Montreux.