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»Warum hat man uns das Geschlecht heimatlos gemacht, statt das Fest unserer Zuständigkeit dorthin zu verlegen? Gut, ich will zugeben, es soll nicht uns gehören, die wir nicht imstande sind, so unerschöpfliche Seeligkeit zu verantworten und zu verwalten. Aber warum gehören wir nicht zu Gott von dieser Stelle aus?« In der Frage z.B. nach religiöser Einbindung des Geschlechtlichen, die ja paradoxerweise gerade auch nach der so genannten »sexuellen Revolution« eine reziproke Bedeutung gewonnen hat, werden Rilkes geistige Bezüge zu Gruppen der ketzerischen Tradition, zu gnostischen Mustern, ja überhaupt zur jahrtausendealten verdrängten, aber unterschwellig immer virulenten Tradition des »freien Geistes« deutlich. Was Rilke mit anderen »offenen Quellen« dieser Geistesströmung, wie Nietzsche, Heine, Kiergegaard und Hölderlin gemeinsam hat, ist das Vertrauen in den Menschen, ohne das der Mut zur Redlichkeit, zu einem unverstellten Glauben niemals möglich wäre. Das existenziell-philosophische Lebensverständnis Rilkes in enger Verbindung mit Bildern seines Lebens anzudeuten, soll in diesem Hörbuch versucht sein.
About the author
Rainer M. Rilke (1875-1926), der Prager Beamtensohn, wurde nach einer erzwungenen Militärerziehung 1896 Student, zuerst in Prag, dann in München und Berlin, weniger studierend als dichtend. Die kurze Ehe mit der Bildhauerin Clara Westhoff in Worpswede löste er 1902 auf. Er bereiste darauf Italien, Skandinavien und Frankreich. In Paris schloß er Bekanntschaft mit Rodin und wurde dessen Privatsekretär. Bereits nach acht Monaten kam es zum Bruch. Es folgten unstete Jahre des Reisens mit Stationen in verschiedenen Städten Europas. Nach seinem Entschluß zur Berufslosigkeit und zu einem reinen Dichterdasein war Rilke zu jedem Verzicht bereit, wenn es dem Werk galt. Er opferte sein Leben seiner Kunst und gewann Unsterblichkeit, indem er unerreichte Sprach- und Kunstwerke schuf.§Im Ersten Weltkrieg war er zur österreichischen Armee eingezogen, wurde aber aufgrund seiner kränklichen Konstitution in das Wiener Kriegsarchiv versetzt. Rilke starb nach langer Krankheit in Val Mont bei Montreux.