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Spionage und Verrat haben während des Ersten Weltkriegs de facto keine kriegsentscheidende Rolle gespielt. Dessen ungeachtet erlebten Deutungsmuster, die den Kriegsverlauf mit einem heimlichen Kampf der Spione, Saboteure und Verräter im Rücken der regulären Truppen begründeten, zwischen 1914 und 1918 eine Blütezeit. In ihrer Studie untersucht Gundula Bavendamm die Funktion und Bedeutung der "konspirativen Kriegserzählungen" für die französische Innenpolitik der Weltkriegsjahre. Das packend geschriebene Buch beruht auf Quellen, die auch von der französischen Forschung bisher nicht beachtet wurden, und stellt eine gelungene Verknüpfung von Kultur- und Politikgeschichte dar.
Im Mittelpunkt steht die Rekonstruktion einer beispiellosen, mit Gerüchten und Ängsten spielenden Rufmordkampagne, mit der es der rechtsextremen Action Française gelang, den liberalen Innenminister Louis-Jean Malvy als Helfershelfer deutscher Spione und französischer Verräter zu stigmatisieren. Die Studie vermittelt anschaulich, wie die konspirativen Szenarien und Interpretationen der Nationalisten auf höchster politischer und militärischer Ebene eine beträchtliche Wirkung entfalteten. Die Popularisierung der Spionage- und Verratsthematik und ihre innenpolitischen Folgen während des Ersten Weltkriegs verdeutlichen in augenfälliger Weise zwei Strukturschwächen der Dritten Republik: ihre mangelnde Fähigkeit, die französische Nation innerlich wirklich zu befrieden, und ihre Anfälligkeit für rechte Ideologien.