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Manfred Fuhrmann, ein Gelehrter, der sich mit der Antike und deren Bedeutung für Europa beschäftigt hat, untersucht den Kanon, an dem sich die Kulturträger in den jüngsten Epochen der europäischen Geschichte - von der Aufklärung bis zu den beiden Weltkriegen - orientiert haben. Dabei gilt: Die Bürger Europas verbindet mehr, als sie trennt. Seit Europa als ein einheitlicher Kulturraum zu existieren begann, seit der Zeit der Völkerwanderung, war die Kommunikation zwischen den Regionen stets rege: Jede wichtige Neuerung auf geistigem, künstlerischem, wissenschaftlichem oder technischem Gebiet setzte sich mit geringer Verzögerung in ganz Europa durch. Innerhalb der führenden Schichten blieben die Unterschiede gering. Dies gilt selbst für jene Zeiten, in denen nationalistische Ideologien das politische und kulturelle Handeln bestimmten.
Die Begriffe "Europa", "Bildung" und "Kanon", die Manfred Fuhrmann anschaulich beschreibt und definiert, sind eng miteinander verbunden. Das Fundament der Antike hat Europa seit der Renaissance entscheidende Anstöße gegeben und sein Selbstverständnis bestimmt, über alle Grenzen hinweg. Daraus erwuchs als wichtigste Institution der bürgerlichen Bildung das humanistische Gymnasium. Daneben aber hatte als zweite Institution der absolutistische Hof gestanden, an dem sich eine bürgerliche Ästhetik herausbildete.
Theater, Konzertwesen und Museum sind die grundlegenden bürgerlichen Einrichtungen, neben der Enzyklopädie und der Bildungsreise. Sie alle vermitteln die Kenntnisse, die zur geistigen Entwicklung eines Kontinents erforderlich waren: Philosophie, Geschichte und Literatur, bildende Kunst und Musik, Mathematik und Naturwissenschaften.
Der gemeinsame "europäische Bildungskanon" prägt auch heute noch, trotz aller Wissensverluste und Widerstände und mehr als die europäische Wirtschafts- und Währungsunion, unsere Kultur.
About the author
Manfred Fuhrmann, geboren 1925, studierte Musik, Alte Sprachen sowie Römisches Recht und war von 1962 bis 1990 Professor für Klassische Philologie an den Universitäten von Kiel und Konstanz. Seit 1989 ist er ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Heidelberg. 1990 wurde ihm der Johann-Heinrich-Voss-Preis für die Übersetzung der Reden Ciceros durch die Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt verliehen. Er starb am 12. Januar 2005. Er veröffentlichte u. a. Die antike Rhetorik (1984), Cicero und die römische Republik. Eine Biographie (1989), Rom in der Spätantike (1994), Europas fremd gewordene Fundamente (1995), Seneca und Kaiser Nero. Eine Biographie (1997), Geschichte der römischen Literatur (1999) und Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters (1999).