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Summary
Im Literaturunterricht spielen Texte, die man als epische Kurzformen bezeichnet, seit jeher eine wichtige Rolle. Dies liegt sicher daran, dass diese Texte so kurz sind, dass sie bequem in einer Unterrichtsstunde besprochen werden können. Das enthebt die Lehrkraft und die Schüler des Problems, sich der Ergebnisse der letzten Stunde erinnern zu müssen, um sinnvoll weiterarbeiten zu können.
Der zweite Grund für die Beliebtheit dieser Textgattung liegt darin, dass die Lehrkraft auf eine Fülle von Texten zurückgreifen kann. Denn die Auswahl an guten epischen Kurztexten ist nahezu unerschöpflich. Die Ursache liegt darin, dass sich fast jeder Dichter und Schriftsteller einmal an solchen Texten versucht hat. Sie lassen sich schnell verfassen, am häuslichen Schreibtisch genauso wie auf Reisen. Vielen Schriftstellern dienten solche Texte als „Fingerübungen“ zur Erprobung umfangreicherer Werke. Manche Dichter haben es beim Schreiben dieser Kleinformen der Epik zur wahren Meisterschaft gebracht, wie z. B. Johann Peter Hebel mit seinen Kalendergeschichten oder Bertolt Brecht mit seinen Keuner-Geschichten.
Für den Literaturunterricht interessant ist vor allem auch die große Bandbreite an Themen, die in diesen kurzen Texten abgehandelt werden. Sie reichen von theologischen Fragestellungen in den biblischen Gleichnissen über die aufklärerische Belehrung in den klassische Anekdoten von Hebel, Kleist und Brecht bis hin zu existenziellen Fragen in den Parabeln Franz Kafkas, die für das 20. Jahrhundert stilprägend waren. In diesen Texten werden Menschheitsfragen von Belang abgehandelt, sodass sie Anregungen zu spannenden Diskussionen im Unterricht geben können.
Deutschlehrer schätzen den Umgang mit den kurzen epischen Texten auch aus einem didaktisch-methodischen Grund. Sie eignen sich sehr gut dafür, die ganze Palette moderner Unterrichtsmethoden anzuwenden. Vor allem das produktionsorientierte Verfahren lässt sich bei diesen kurzen Texten sehr gut praktizieren.
Die in diesem Band vorgestellten Texte lassen sich sowohl im Literaturunterricht der Sekundarstufe I als auch in dem der gymnasialen Oberstufe besprechen. Die vorgestellten Module sind aber in erster Linie für den Unterricht in der Sekundarstufe II gedacht. In den unteren Klassenstufen muss die Lehrkraft natürlich Abstriche hinsichtlich der thematischen Vertiefung und der Analyse der formalsprachlichen Gestaltung machen. In der gymnasialen Oberstufe wäre es denkbar, dass man die kurzen Texte zum Einstieg in ein größeres Projekt benutzt, das einem Dichter (z. B. Franz Kafka oder Bertolt Brecht) oder einem inhaltlichen Stoffgebiet (z. B. der Aufklärung) gewidmet ist.