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Das vorliegende, reich bebilderte Buch widmet sich der mittelalterlichen Profanmalerei und insbesondere der Monu mentalmalerei. Anschaulich zeigen die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandenen und ursprünglich raumfüllenden Wandmalereien in der Camera d Amore im Castello di Sabbionara in Avio (Trentino), wie sich vollständig bemalte profane Räume und Raumgruppen im Trecento besonderer Inszenierungsstrategien bedienen und auf eine Wechselwirkung zwischen Bild und Betrachter abzielen. Dabei werden die Malereien zum aktiven Medium und fordern den Betrachter zu einer visuellen (con gli occhi) und intellektuellen (con la mente) Handlung heraus.
Die Wahrnehmung und Wirkung der Malereien stehen im Zentrum der Untersuchung, wobei inhaltlich wie formal verwandte Bildzyklen den Blick für das Konzept des impliziten Betrachters schärfen. Das Streben nach innovativen Bildfindungen, komplexen Erzählstrukturen und einer Verschmelzung von Bild- und Betrachterraum, die eine hohe illusionistische Qualität der Malereien voraussetzt, verbindet sie mit der literarischen Avantgarde ihrer Zeit und wird als wichtiges Indiz für den gehobenen Anspruch der Malereien und ihr elitäres Entstehungsumfeld gewertet.
List of contents
Einleitung
I. Stand der Forschung
- 1. Zur Wechselwirkung zwischen Bild und Betrachter
- 2. Zur profanen Wandmalerei des Trecento
Die Wandmalereien in der Camera d Amore
I. Ausgangslage
- 1. Das Castello di Sabbionara und seine Baugeschichte
- 2. Die Castelbarco: Feudalherren und Kunstmäzene
- 3. Forschungsgeschichte
- 4. Datierung
- 5. Dekorationssystem und Raumfunktion
II. Beschreibung und Identifizierung der Szenen
- 1. Gewölbezone
- 2. Wandzone
Wahrnehmung und Wirkung in Schrift und Bild
I. Schriftquellen zu Bildbeschaffenheit und Betrachter
II. Con gli occhi riguardando e con la mente. Sehleistung des Betrachters
- 1. Erzählstrategien
- 2. Assoziative Schlüsselthemen
III. Piena di storie: Wirkung auf den Betrachter
- 1. Betrachter als Akteur
- 2. Ambitionen des Auftraggebers
IV. Gesamtkonzept
Rauminszenierungen im Vergleich
I. Wandmalereien in der Burg Runkelstein bei Bozen
- 1. Saal der Liebespaare
- 2. Badezimmer
- 3. Garelzimmer
II. Brüche in der Illusion
III. Fazit
About the author
Sabine Sommerer hat nach Forschungsaufenhalten in Florenz und Rom an der Universität Basel promoviert und ist zur Zeit Inventarisatorin der Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Landschaft. Von 2008–2009 war sie Mitarbeiterin im NCCR-Projekt 'Mediality'.
Summary
Anschaulich zeigen die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandenen Malereien in der vollständig ausgemalten Camera d’Amore im Castello di Sabbionara in Avio (Trentino) ein rezeptionsästhetisches Konzept, das mit einem aktiven Betrachter rechnete und ihn zur Teilnahme am Bildgeschehen einlud.
Das vorliegende, reich bebilderte Buch erforscht die Wege, auf denen mittelalterliche Künstler versuchten, die Rezipienten ihrer Kunst anzusprechen und ihnen visuelle wie auch intellektuelle Unterhaltung zu bieten. Dafür entwarfen sie Bildkonzepte, die dem Betrachter von vornherein eine aktive Rolle im Umgang mit dem Angebot des Bildes zudachten. In dieser Funktion sollte der Betrachter in seiner Imagination die Realität des Bildes mit seiner eigenen Realität vermischen und so das gemalte Geschehen unmittelbar empfinden. Zur genaueren Betrachtung dieser erst spät gewürdigten Malereien wurde deren Entstehungskontext aufgearbeitet. Neben der Identifizierung der Figuren in ihrer sorgfältigen Beschreibung und der Entschlüsselung des erzählerischen Zusammenhangs wird in einer Analyse zur Wahrnehmung und Wirkung aufgezeigt, wie avantgardistisch das Bildkonzept der Camera d’Amore in seiner Zeit war. Ein Katalog aussagekräftiger Textquellen macht deutlich, dass das Konzept des aktiven Bildes, das eine eigene Realität in der Imagination des Betrachters konstituiert, tatsächlich existierte und auch in der Literatur des Trecento Niederschlag fand. So benutzten beispielsweise Dante und Boccaccio ausführliche Bildbeschreibungen, um ihren Lesern eine lebendig wirkende, gemalte Fiktion vor Augen zu führen. Schliesslich werden die an der Camera d’Amore beobachteten Bildstrategien in einem grösseren Zusammenhang an weiteren, etwa zeitgleichen Malereizyklen nachgewiesen: Innerhalb der europaweit impulsgebenden Malerei des italienischen Trecento kommt den Malereien eine besondere Bedeutung zu.