Read more
Wenn sich die Schweiz an die Reformationskriege des 16. Jahrhunderts erinnerte, dachte sie an die Kappeler Milchsuppe - Zug an ein Blutbad am Gubel. Mit der Legende von der Kappeler Milchsuppe wollten die liberalen Eliten des 19. Jahrhunderts nationalen Zusammenhalt stiften, die Schweizer Geschichte sollte als Erfolgsstory dargestellt werden. In Zug funktionierte dies nicht.
Die Zuger Erinnerung galt der Schlacht auf dem Gubel: Auf der Anhöhe oberhalb von Menzingen hatten einige hundert Männer aus den Berggemeinden das reformierte Heer überfallen und ein Massaker angerichtet. Die Reformationskriege waren entschieden, Zug blieb katholisch.
Rund um diese Schlacht entwickelte sich eine Erinnerungskultur, die vor 1848 in Konkurrenz zur reformierten und danach im Schatten der nationalliberalen Erinnerungskultur stand. Das stolze Gedenken an die Reformationskriege wurde zu einem wesentlichen Teil des Zuger Selbstverständnisses: Es schuf Helden, mobilisierte die Bevölkerung und stiftete noch Jahrhunderte nach der Schlacht Legitimation für Weltanschauungen. Allerdings brachte es auch Konflikte: Das Gedenken wurde politisch instrumentalisiert, gesellschaftliche Gruppen wurden aus der gemeinsamen Erinnerung ausgeschlossen. Dagegen regte sich zunehmend Widerstand.
Die reich illustrierte Studie bietet ein komplexes erinnerungsgeschichtliches Fallbeispiel. Darüber hinaus ist sie ein Stück Kulturgeschichte des schweizerischen katholischen Milieus und eine kulturhistorisch inspirierte Zuger Geschichte, in der sich die Entwicklungen grösserer Räume spiegeln.
List of contents
1 Einführung
1.1 Kein einig Volk von Brüdern
1.2 Die katholische Subgesellschaft und ihre Grenzen
1.3 Die Reformation in der Eidgenossenschaft
2 Vor der Bundesstaatsgründung
2.1 Religiöses Gedenken und katholische Provokationen in der Vormoderne
2.2 Franz Karl Stadlin: Die Widersprüche eines liberalen Lokalpatrioten
2.3 Massenandrang bei der 300-Jahr-Schlachtfeier
2.4 1843: Konservative Ultras auf dem Gubel
2.5 Ein Kloster im Gedenken an die Freischarenzüge
3 Von der Bundesstaatsgründung bis zum Ersten Weltkrieg
3.1 Die Gedächtnislücke nach 1847/48
3.2 Eine Erinnerungskultur auf Papier
3.3 Christian Iten: Die Genese eines Helden
3.4 Wo steht die katholische Geschichtsschreibung?
3.5 Widersprüchliche Geschichtsbilder an den Zuger Schulen
4 Zwischenkriegszeit
4.1 Zurückhaltender Stolz nach dem Ersten Weltkrieg
4.2 Philipp Etter: Der autoritäre Geschichtspolitiker
4.3 400-Jahr-Feiern: Konflikte und (gescheiterte) Versöhnungsversuche
4.4 Das reformierte Zug gedenkt fremd
5 Eine komplexe Erinnerungskultur und ihr stilles Ende
6 Orientierung im Begriffsdschungel der Erinnerungsgeschichte
About the author
Jonas Briner, geboren 1986 in Zug, studierte Geschichte und Philosophie an den Universitäten Luzern und Florenz. Sein Spezialgebiet ist Schweizer Erinnerungsgeschichte und -kultur.
Summary
Die liberalen Eliten des 19. Jahrhunderts schrieben die Schweizer Geschichte als grosse Erfolgsstory. Selbst die Reformationskriege wurden zum heimlichen Beleg eidgenössischen Gemeinsinns umgedeutet: Die Legende von den reformierten und katholischen Soldaten, welche 1529 das gemeinsame Milchsuppenmahl dem Kampf vorgezogen hätten, sollte nationalen Zusammenhalt stiften. In Zug funktionierte dies nicht.
Die Erinnerung der Zuger galt der Schlacht auf dem Gubel. Auf der Anhöhe oberhalb von Menzingen hatten 1531 einige hundert Männer aus den Berggemeinden das reformierte Heer überfallen und ein Massaker angerichtet. Die Reformationskriege waren entschieden, Zug blieb katholisch, und rund um die Schlacht entwickelte sich eine Erinnerungskultur, die vor 1848 in Konkurrenz zur reformierten und danach im Schatten der nationalliberalen Erinnerungskultur stand. Das stolze Gedenken an das nächtliche Blutbad prägte das Zuger Selbstverständnis: Es schuf Helden, mobilisierte Massen und legitimierte noch Jahrhunderte nach der Schlacht eine katholische Weltanschauung. Allerdings brachte es auch Konflikte: Das Gedenken wurde politisch instrumentalisiert, gesellschaftliche Gruppen wurden vom gemeinsamen Erinnern ausgeschlossen.
Das reich illustrierte Buch erzählt von einem komplexen erinnerungsgeschichtlichen Fall. Zugleich schafft es Einblicke in die Geschichte des schweizerischen katholischen Milieus und in die Vergangenheit des Kantons Zug, in der sich die Entwicklungen grösserer Räume spiegeln.