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»[E]iner der großen Vogelrufe des Herzens in der Landschaft der Liebe« nannte Rilke die »Sonette aus dem Portugiesischen« der viktorianischen Dichterin Elizabeth Barrett-Browning. 1907 übersetzte er die Gedichte - wohl zunächst mit Hilfe seiner Gastgeberin Alice Faehndrich - auf Capri ins Deutsche, 1908 wurden sie zum ersten Mal veröffentlicht. Einhundert Jahre später beginnen Christian Hawkey und Uljana Wolf, die berühmten Sonette in der zweisprachigen Insel-Ausgabe mit Tipp-Ex zu bearbeiten. Ihr »SONNE FROM ORT«, das im Titel an Rilkes Capri erinnert, besteht aus weißen Feldern, neuen Gedichten und jeder Menge Zugunruhe. Denn Tipp-Ex, das auf Englisch »Liquid Paper« heißt, setzt den Text in Bewegung. Die Übermalungen lassen die Seiten flüssig werden, ein Meer aus Möglichkeiten, in dem sich immer wieder neue, überraschende Textinseln bilden. Sie wecken schlummernde Potenziale und Geisterstimmen, erforschen neue Areale poetischer Zusammenarbeit. Wie eine weitere Übersetzungsschicht schreiben Wolfs & Hawkeys Erasures oder Ausstreichungen die unzähligen im Text enthaltenen Stimmen fort: as if / Struck by thy possible hand,
»Dichtung derart optisch vorzuführen erzählt mehr über das Prinzip experimenteller Lyrik, als es die bloße Lektüre täte.« Andreas Platthaus, FAZ
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Uljana Wolf wurde 1979 in Berlin geboren, wo sie heute auch lebt. Ihre Gedichte wurden in Zeitschriften und Anthologien unter anderem in Polen, Irland, Weißrussland, Dänemark, Ungarn und Schweden veröffentlicht. 2006 wurde sie mit dem Peter-Huchel-Preis und dem "Dresdner Lyrikpreis ausgezeichnet, im Jahr 2015 erhielt sie für ihr lyrisches und übersetzerisches Gesamtwerk den Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung.
Rainer M. Rilke (1875-1926), der Prager Beamtensohn, wurde nach einer erzwungenen Militärerziehung 1896 Student, zuerst in Prag, dann in München und Berlin, weniger studierend als dichtend. Die kurze Ehe mit der Bildhauerin Clara Westhoff in Worpswede löste er 1902 auf. Er bereiste darauf Italien, Skandinavien und Frankreich. In Paris schloß er Bekanntschaft mit Rodin und wurde dessen Privatsekretär. Bereits nach acht Monaten kam es zum Bruch. Es folgten unstete Jahre des Reisens mit Stationen in verschiedenen Städten Europas. Nach seinem Entschluß zur Berufslosigkeit und zu einem reinen Dichterdasein war Rilke zu jedem Verzicht bereit, wenn es dem Werk galt. Er opferte sein Leben seiner Kunst und gewann Unsterblichkeit, indem er unerreichte Sprach- und Kunstwerke schuf.
Im Ersten Weltkrieg war er zur österreichischen Armee eingezogen, wurde aber aufgrund seiner kränklichen Konstitution in das Wiener Kriegsarchiv versetzt. Rilke starb nach langer Krankheit in Val Mont bei Montreux.