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Eine Serie politischer Unwetter hat die Welt durcheinandergebracht. Die Instrumente, mit denen wir uns früher orientierten, funktionieren nicht mehr. Verstanden wir Politik lange als einen Zeitstrahl, der von einer lokalen Vergangenheit in eine globale Zukunft führen würde, realisieren wir nun, dass der Globus für unsere Globalisierungspläne zu klein ist. Der Weg in eine behütetere Vergangenheit erweist sich ebenfalls als Fiktion. Wir hängen in der Luft, der jähe Absturz droht.
In dieser brisanten Situation gilt es zuallererst, wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen und sich dann neu zu orientieren. Bruno Latour unternimmt den Versuch, die Landschaft des Politischen neu zu vermessen und unsere politischen Leidenschaften auf neue Gegenstände auszurichten. Jenseits überkommener Unterscheidungen wie links und rechts, fortschrittlich und reaktionär plädiert er für eine radikal materialistische Politik, die nicht nur den Produktionsprozess einbezieht, sondern auch die ökologischen Bedingungen unserer Existenz.
List of contents
Eine politisch-fiktionale Hypothese: Die Explosion der Ungleichheiten und das Verleugnen der Klimasituation sind ein und dasselbe Phänomen.
Dank Amerikas Aufkündigung des Klimaabkommens wissen wir endlich in aller Klarheit, welcher Krieg erklärt wurde.
Die Frage der Migrationen betrifft jetzt alle Welt, da sich eine neue und höchst perverse Universalität darbietet: sich als enterdet zu erleben.
Die Plus-Globalisierung darf nicht mit der Minus-Globalisierung verwechselt werden.
Wie die globalisierten führenden Klassen beschlossen, sich nach und nach aller Bürden der Solidarität zu entledigen.
Der Verzicht auf eine gemeinsame Welt erschüttert das Vertrauen in die Fakten.
Das Auftauchen eines dritten Pols erschüttert die klassische Ausrichtung der zwischen den Polen des Lokalen und des Globalen gefangenen Modernität.
Die Erfindung des »Trumpismus« ermöglicht das Orten eines vierten Attraktors, des Außerirdischen.
Mit der Ortung des Attraktors des Terrestrischen ist eine neue geopolitische Ausrichtung definiert.
Warum die Erfolge der politischen Ökonomie nicht immer auf der Höhe der Herausforderungen waren.
Warum sie so große Mühe hatte, sich des Gegensatzes von Rechte und Linke zu entziehen.
Wie die Vermittlung zwischen den sozialen und den ökologischen Kämpfen zu gewährleisten ist.
Der Kampf der sozialen Klassen wird zum Kampf der geo-sozialen Plätze.
Der Umweg über die Wissenschaftsgeschichte macht begreifbar, wie eine bestimmte Vorstellung von »Natur« die politischen Positionen hat erstarren lassen.
Es muss gelingen, die in der modernen Sicht des Gegensatzes von Linke und Rechte gefangene »Natur« zu entzaubern.
Eine Welt aus Objekten weist nicht dieselbe Art von Widerstand auf wie eine Welt aus Akteuren.
Die Wissenschaften von der Kritischen Zone haben nicht dieselben politischen Funktionen wie die anderen Naturwissenschaften.
Der Widerspruch zwischen Produktionssystem und Erzeugungssystem verstärkt sich.
Wiederaufnahme der Beschreibung der Lebensterrains - die Beschwerdehefte als mögliches Vorbild.
Persönliches Plädoyer für den Alten Kontinent
About the author
Bruno Latour wurde 1947 im der burgundischen Kleinstadt Beaune als Sohn einer Winzerfamilie geboren. Nach einem Studium der Philosophie und Anthropologie promovierte er 1975 an der Universität Tours. 1979 veröffentlichte Latour zusammen mit dem britischen Soziologen Steve Woolgar Laboratory Life, das Ergebnis seiner Feldstudien im Labor des späteren Nobelpreisträgers Roger Guillemin. Dabei konnte Latour aufzeigen, welche Rollen rhetorische Strategien und technische Artefakte bei der "Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen" spielen. Mit dem 1987 erschienenen Science in Action weitete Bruno Latour diese zunächst sozialkonstruktivistische Argumentation auf das Gebiet der Technik aus. Er entwickelte zusammen mit anderen Soziologen, vor allem Michel Callon und John Law, die Akteur-Netzwerk-Theorie, die über den Sozialkonstruktivismus hinausgeht. Anders als dieser geht die Akteur-Netzwerk-Theorie nicht davon aus, dass Technik und Wirklichkeit sozial konstruiert sind. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Technik/Natur und das Soziale sich in einem Netzwerk wechselseitig Eigenschaften und Handlungspotentiale zuschreiben. Latour entwickelte später auf Basis dieser Überlegungen mit "Wir sind nie modern gewesen" und "Das Parlament der Dinge" eine Kritik der "modernen" Gesellschaft. 1987 erfolgte die Habilitation an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales. In den Science Wars der 90er Jahre wurde Latour unter anderem von Alan Sokal heftig kritisiert. In "Die Hoffnung der Pandora" setzte sich Latour mit dieser Kritik auseinander. 1982 wurde er Professor für Soziologie an der Ecole Nationale Supérieure des Mines in Paris. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit im engeren Sinne kuratierte er zusammen mit Peter Weibel die Ausstellungen Iconoclash (2002) und Making Things Public (2005) am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie. 2008 wurde Bruno Latour mit dem "Siegfried Unseld Preis" ausgezeichnet im Jahr 2013 erhielt er den "Holberg Prize".
Summary
Eine Serie politischer Unwetter hat die Welt durcheinandergebracht. Die Instrumente, mit denen wir uns früher orientierten, funktionieren nicht mehr. Verstanden wir Politik lange als einen Zeitstrahl, der von einer lokalen Vergangenheit in eine globale Zukunft führen würde, realisieren wir nun, dass der Globus für unsere Globalisierungspläne zu klein ist. Der Weg in eine behütetere Vergangenheit erweist sich ebenfalls als Fiktion. Wir hängen in der Luft, der jähe Absturz droht.
In dieser brisanten Situation gilt es zuallererst, wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen und sich dann neu zu orientieren. Bruno Latour unternimmt den Versuch, die Landschaft des Politischen neu zu vermessen und unsere politischen Leidenschaften auf neue Gegenstände auszurichten. Jenseits überkommener Unterscheidungen wie links und rechts, fortschrittlich und reaktionär plädiert er für eine radikal materialistische Politik, die nicht nur den Produktionsprozess einbezieht, sondern auch die ökologischen Bedingungen unserer Existenz.
Additional text
»Latours Essay regt dazu an,
nicht nur die Fremd-, sondern auch die Selbstbestimmung genauer zu durchdenken.«
Report
»[Latour ist] ein unerschöpflicher Ideenlieferant für die Gegenwart.« Joseph Hanimann Süddeutsche Zeitung 20210222