Mehr lesen
Erinnert sich noch jemand? Zeit für Leben, Arbeit und Lieben. Das war 1984, als die Sonne der 35-Stunden-Woche aufging. 20 Jahre später ist Schluss mit Lustig: 40 Wochenarbeitsstunden sind wieder das Maß, nun aber massiv flexibilisiert. Im Dienstleistungssektor wurden die bezahlten Überstunden in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Und mit Zeitkonten lässt sich das betriebliche Arbeitszeitkontingent den Schwankungen von Konjunktur und Auftragslage anpassen - mit einer kleineren Personaldecke. Schaut man genauer hin, stellt man erstens fest, dass arbeitszeitpolitische Flexibilisierung eingefügt ist in Unternehmenskonzepte, in denen Vorgesetztenkontrolle durch Marktsteuerung am Arbeitsplatz ersetzt wird. Und zweitens zeigt sich, dass die neuen Realitäten höchst ambivalent sind: Einerseits frisst "Arbeit" zunehmend "Leben", andererseits treffen Arbeitszeitkonten oder "Vertrauensarbeitszeiten" auf Gegenliebe, weil sie Selbständigkeit und Zeitsouveränität versprechen.
Ist gewerkschaftlich gestaltete Arbeitszeitpolitik unter diesen Bedingungen, gerade in dem so buntscheckigen, scheinbar kein Maß kennenden Dienstleistungssektor überhaupt noch möglich? Die Antwort lautet "Ja", wenn
- Arbeit und Leben neu komponiert werden: Die Beschäftigten haben sehr wohl ein Interesse an verlässlichen und auch kürzeren Arbeitszeiten; sie haben aber auch ein verändertes Leistungsbewusstsein.
- Arbeitszeitpolitik unterschiedliche Lebenskonzepte ausbalanciert. Eine neue Verteilung von Arbeit und Zeit muss dort ansetzen, wo die Vertiefung von Spaltung droht: am Geschlechter- und Generationenverhältnis, der Teilhabe an Bildung, beruflichem Aufstieg und dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.
- Die Beschäftigten mehr Einfluss auf Lage und Verteilung ihrer Arbeitszeit erhalten, kollektive Mitbestimmungsrechte der Arbeit ein Maß geben und "Leitplanken" das Abweicen von tariflichen Normen regeln.
Inhaltsverzeichnis
Frank Bsirske
Vorwort (Leseprobe)
Gabriele Sterkel
Arbeitszeitinitiative auf schwierigem Terrain
Jörg Wiedemuth
Das Wettrechnen der Milchmädchen
Arbeitszeitverlängerung als Allheilmittel gegen Wachstumsschwäche und Arbeitsmarktkrise
Steffen Lehndorff / Alexandra Wagner
Arbeitszeiten und Arbeitszeitregulierung in Deutschland
Eine Bestandsaufnahme
Peter Ellguth / Markus Promberger
Arbeitszeiten in der öffentlichen und privaten Dienstleistungswirtschaft
Eine Branchenanalyse mit Daten des IAB-Betriebspanels
Thomas Haipeter
Zwischen den Zonen der Stabilität und Entkoppelung
Arbeitszeiten und Arbeitszeitregulierung bei den Zeitungsverlagen
Dieter Sauer / Volker Döhl / Nick Kratzer / Kira Marrs
Arbeiten ohne (Zeit-)Maß?
Ein neues Verhältnis von Arbeitszeit- und Leistungspolitik
Eckart Hildebrandt / Kristina Thurau-Vetter
"Destandardisierung von Lebensläufen - Gestaltungsmöglichkeiten von Lebensarbeitszeit"
Steffen Lehndorff / Alexandra Wagner
"Mein Engagement hängt von den konkreten Bedingungen ab"
Welche Arbeitszeitprobleme haben Dienstleistungsbeschäftigte, was erwarten sie von ver.di?
Sylvia Skrabs
Good Practice in der Arbeitszeitgestaltung
Margret Mönig-Raane
Wem gehört die Zeit?Koordinaten einer anderen Zeitverteilung
Anhang:
Der Lebenslauf der ver.di-Arbeitszeitinitiative 2002-2004