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Hannah Arendt geht in dieser Vorlesung der Frage nach, wie nach dem beispiellosen Zusammenbruch und Versagen von Moral im Sinne von Tugend und Sitte im Nationalsozialismus eine Ethik oder gar Natur des Guten begründbar ist. In freier Bezugnahme auf Denker wie Kant, Sokrates, Jesus von Nazareth und Friedrich Nietzsche lässt sie sich von dem Empfinden leiten, dass das »Böse« ein »Oberflächenphänomen« ist:»Das größte Böse ist nicht radikal, es hat keine Wurzeln, und weil es keine Wurzeln hat, hat es keine Grenzen, kann sich ins unvorstellbar Extreme entwickeln und über die ganze Welt ausbreiten...« Das Gute bzw. das Bedürfnis, Gutes zu tun, erscheint hingegen als die ursprünglichere Kraft, als naturgegebene Energie, als genuiner Instinkt. »Und natürlich ist es auch dieses Mehr an Kraft (Nietzsche), diese extravagante Großzügigkeit oder der »überströmende, verschwenderische Willen«, der Menschen dazu veranlaßt, Gutes tun zu wollen und es gerne zu tun. Was bei den wenigen und bekannten Menschen, die ihr ganzes Leben dem »Gutes-Tun« gewidmet haben, wie Jesus von Nazareth oder der heilige Franziskus von Assisi, am offenkundigsten ist, ist sicher nicht Sanftmut, sondern eher eine überfließende Kraft, vielleicht nicht des Charakters, sondern schon ihrer Natur.« (Hannah Arendt)
Über den Autor / die Autorin
Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 in Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte Philosophie, Theologie und Griechisch unter anderem bei Heidegger, Bultmann und Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 Emigration nach Paris, ab 1941 in New York. 1946 bis 1948 Lektorin, danach als freie Schriftstellerin tätig. 1963 Professorin für Politische Theorie in Chicago, ab 1967 an der New School for Social Research in New York.