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Seufzend machte sich Bruno auf den Weg. Es war in diesem Monat bereits der dritte Einbruch in eines der entlegenen Ferienhäuser, die Ausländern gehörten und nur im Sommer bewohnt waren. In den ersten beiden Fällen hatte es eine holländische und eine englische Familie getroffen, die zu Anfang der Osterferien angereist waren und zu ihrem Schreck hatten feststellen müssen, dass ihre Häuser offenbar von Profis geplündert worden waren. Die Einbrecher hatten alle wertvolleren Einrichtungsgegenstände mitgehen lassen: Teppiche, Gemälde, Silberbesteck und antikes Mobiliar. Fernsehgeräte und Stereoanlagen hingegen, sonst die erste Wahl gewöhnlicher Diebe, waren nicht angerührt worden. Folglich hatten weder Fingerabdrücke noch andere übliche Einbruchsspuren sichergestellt werden können. Auf den ersten Blick war von einem Einbruch überhaupt nichts zu sehen gewesen. Beide Häuser hatten zwar eine Alarmsicherung, doch die war nur per Telefon mit einem zentralen Wach- und Schließdienst verbunden, weil die Häuser so abgelegen waren, dass ein akustisches Warnsignal nichts genützt hätte. Die Telefonleitungen aber waren gekappt worden.

Als Bruno den Tatort erreichte, hatten Gendarmen das Haus bereits flüchtig durchsucht. Sie zuckten nur mit den [25] Achseln und überließen es ihm, einen Bericht für die Versicherung aufzusetzen. Obwohl er sich an ihrer Gleichgültigkeit ein wenig störte, hatte Bruno durchaus Verständnis für sie. Einbrüche dieser Art konnten fast nie aufgeklärt werden, weshalb die Gendarmerie es vorzog abzuwarten, bis das Diebesgut zufällig bei einem der hiesigen Hehler wieder auftauchte, dem man dann ein mildes Urteil zusicherte, wenn er gegen die Einbrecher aussagte. So bestand immerhin die Chance, auf einen Schlag Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Einbrüchen aufzuklären und in den jährlichen Berichten eine Erfolgsstatistik vorzulegen, die Paris erfreute und womöglich mit Bonuszahlungen und Beförderungen belohnen würde. Diese Vorgehensweise bedeutete jedoch auch, dass die Geschädigten für gewöhnlich nur einen Bruchteil der gestohlenen Ware zurückbekamen. Bruno hatte deshalb den Versicherungsmaklern vor Ort vorgeschlagen, darauf hinzuwirken, dass ihre Kunden Fotos von den wertvolleren Einrichtungsgegenständen machten. Damit wäre es leichter, sie wieder aufzuspüren. Aber sein Vorschlag war bisher nur selten beherzigt worden.

Bruno kannte das Haus, eine gentilhommière – so der von Immobilienmaklern verwendete Name für einen Landsitz, der kleiner war als ein Herrenhaus, aber größer als ein gewöhnliches Gehöft. Die gentilhommière stammte aus dem 18. Jahrhundert und hatte ein prunkvolles Portal mit einem von Säulen gestützten Portikus, links und rechts davon Verandatüren und im Stockwerk darüber fünf Mansardenfenster. Vor der Fassade reihten sich steinerne Blumenurnen, die aber zu dieser Jahreszeit noch unbegrünt waren. Den Dachsims schmückten Ananasfrüchte aus Stein – wie bei [26] allen Häusern, die Carlos, einer der besten hiesigen Architekten, gebaut hatte. Das Haus war makellos instand gesetzt, das Dach mit alten Ziegeln neu gedeckt und der nachträglich aufgetragene Putz von den Wänden abgeschlagen worden, um die honigfarbenen Mauersteine darunter wieder zur Geltung zu bringen. Die Zufahrt war von Obstbäumen gesäumt, der Gemüsegarten von einer Hecke aus Rosensträuchern umgeben. Hinter dem Haus, so erinnerte sich Bruno, gab es einen Swimmingpool und eine weitläufige, mit Feldsteinen belegte Terrasse, die einen grandiosen Ausblick auf die Felsriffe über dem Tal der Vézère bot.

Bruno war zweimal zu einer Gartenparty und einmal zu einem dîner eingeladen gewesen. Er hatte Jack Crimson, den britischen Eigentümer, auf dem Tennisplatz kennengelernt, wo der Staatssekretär im Ruhestand manchmal gemächliche gemischte Doppel spielte. Crimson nahm auch an den wichtigsten Turnieren teil, stiftete Geschenke als Preise für die Sieger und widmete der Kindermannschaft jedes Jahr großzügige Spenden. Der Engländer war ein freundlicher Mann, immer gut gekleidet und mit dichten grauen Haaren, ein bisschen untersetzt, aber der Figur nach jemand, der in jungen Jahren viel Sport getrieben hatte. Er sprach ein passables Französisch, servierte exzellente Weine und gab beschwingte Partys, auf denen Bruno unter anderem einen sehr kräftigen englischen Drink namens Pimm’s schätzen gelernt hatte. Jedes Jahr kam er im Sommer in einem stattlichen alten Jaguar vorgefahren. Wegen der vielen seltenen Bücher, kostbaren Gemälde und Antiquitäten, die sich in seinem Haus befanden, hatte Bruno Crimson nahegelegt, bei seiner Versicherung Fotos von allen Wertgegenständen zu hinterlegen.

[27] »Ça va, Bruno? Ich habe Ihren Wagen kommen hören«, sagte Gaëlle, als sie ihn vor der Haustür begrüßte. »Die Diebe sind durch die Hintertür rein und haben alle guten Möbel, Teppiche und Gemälde weggeschafft. Die Bücher haben sie stehengelassen, dafür aber die Telefonleitung durchgeschnitten. Die Mairie habe ich bereits per Handy verständigt.«

»Waren die Fensterläden geschlossen, als Sie kamen?«, fragte Bruno.

Gaëlle, eine einfache, tüchtige Witwe Mitte fünfzig, nickte. »Ich habe sie selbst geöffnet, um die Zimmer zu lüften. Das mache ich immer. Monsieur Crimson will es so.«

Sie führte ihn um das Haus herum zu einer der Verandatüren, deren Schlagläden aufgebrochen waren. Eine der kleinen Glasscheiben war – recht professionell – eingedrückt worden: Die Einbrecher hatten sie mit Leim bestrichen und eine zusammengefaltete Zeitung darauf geklebt, um Lärm und umherfliegende Splitter zu vermeiden. Dieselbe Technik war auch bei den vorausgegangenen Einbrüchen angewandt worden. Im Haus ließ sich an den helleren Stellen an den Wänden sofort erkennen, wo vorher Gemälde gehangen hatten.

»Das hier ist das Esszimmer«, sagte Gaëlle. »Wie Sie sehen, sind fast alle Möbel weg. Und auch die Bilder. Da waren ein paar sehr schöne, sehr alte mit Früchten darauf und Fasanen und altmodischen Schalen mit Gemüse. In den Zimmern oben waren die Diebe offenbar nicht, denn da scheint nichts zu fehlen.«

»Ich hoffe, Sie haben davon keinen Gebrauch gemacht«, sagte Bruno und zeigte auf den Staubwedel, den sie in der Hand hielt. »Die Einbrecher könnten Fingerabdrücke hinterlassen haben.«

[28] »Ich weiß. Das sieht man ja in Fernsehkrimis. Ich habe nur gern etwas in der Hand.«

»Haben Sie Monsieur Crimson schon verständigt?«

»Ich habe ihn gleich nach meinem Anruf in der Mairie in England zu erreichen versucht, aber da war nur ein Anrufbeantworter mit einer Ansage auf Englisch. Ich habe draufgesprochen. Er wird sich bestimmt melden, wenn er es hört.«

Bruno notierte sich Crimsons Telefonnummer und erfuhr von Gaëlle, dass sie zweimal in der Woche zum Putzen kam, das letzte Mal vor vier Tagen. Mit seinem Notizbuch in der Hand ging er von Zimmer zu Zimmer, und Gaëlle musste ihm sagen, was alles verschwunden war. Der Schreibtisch und die Aktenschränke in dem Raum, den Crimson als Arbeitszimmer nutzte, schienen unberührt zu sein, doch fehlte laut Gaëlle ein alter Teppich. Die Tür zum Keller war aufgebrochen worden. Auf dem Boden lagen das Schließband und das Vorhängeschloss.

»Die Treppe führt in den Weinkeller«, erklärte sie und drückte den Lichtschalter mit dem Stiel ihres Staubwedels. Bruno registrierte anerkennend, dass der Kellerboden mit Kies belegt und viel Sorgfalt bei der Beschriftung der Flaschenregale aufgewendet worden war. Es erleichterte seine Arbeit, denn er stellte sofort fest, was die Einbrecher gestohlen hatten: edle Pomerols und Sauternes sowie einen Kasten 2005er Grand Millésime Château de Tiregand, den wertvollsten aller Pécharmant-Weine.

»Die kennen sich aus«, sagte Bruno und notierte im Stillen, dass es sich nicht um gewöhnliche Diebe handeln konnte. Den roten Cru Bourgeois, weißen Burgunder und sogar Champagner hatten sie liegenlassen.

[29] Er wollte schon wieder nach oben gehen, als ihm eine kleine Tür neben der Treppe auffiel. Sie war unverschlossen und führte in ein weiteres dunkles Kellergewölbe, in dem es nach Heizöl roch. Durch eine Öffnung am Rand der Decke sickerte Tageslicht herein.

»Hier stand früher der Öltank«, erklärte Gaëlle. »Seit ein paar Jahren wird das Haus zentral mit Gas beheizt.«

Zurück im Parterre, führte sie den Chef de police auf die Terrasse und zeigte auf zwei Metallklappen im Boden, die ein schweres Vorhängeschloss sicherte. Durch diesen Schacht sei das Heizöl eingefüllt worden, sagte sie und machte ihn dann auf Reifenspuren im Rasen aufmerksam.

»Ich vermute, sie sind mit ihrem Lieferwagen rückwärts bis vor die Terrasse gefahren, um ihn auf kürzestem Weg beladen zu können. Vorgestern Nacht hat es geregnet, darum glaube ich, dass sie gestern eingebrochen sind, vielleicht irgendwann am Vormittag.«

»Sie sollten für die Polizei arbeiten, Gaëlle«, sagte Bruno anerkennend. »Diese Fernsehkrimis scheinen jedenfalls sehr lehrreich zu sein.« Bruno folgte mit den Augen der Telefonleitung bis zu der Stelle, an der sie gekappt worden war. Über sein Handy rief er bei France Télécom an und fragte, ob festgestellt werden könne, seit wann der Anschluss gestört sei. Der zuständige Mitarbeiter antwortete: seit zwei Tagen, kurz vor dreizehn Uhr. Wenn jetzt jemand im Haus sei, würde er einen Techniker vorbeischicken.

»Eine Schande ist das«, klagte Gaëlle. »So ein netter Mann, immer höflich und großzügig. Und wie schön er seinen Besitz in Schuss hält! Man sollte...